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Jobcenter will Abkürzung nehmen – Gericht schiebt Riegel vor

Richter im Amtszimmer mit Hammer und Justitia lehnt Antrag des Jobcenters ab

Ein Jobcenter wollte sich den Verwaltungsaufwand sparen und verlangte von einer Wohnungs­genossenschaft die komplette Betriebs- und Heizkosten­abrechnung eines Bürgergeld-Haushalts, garniert mit der Drohung eines Bußgeldes für den Fall der Weigerung. Die Sache landete schlussendlich vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, das den Bescheid kurzerhand kassierte: Vollständige Abrechnungen gehen die Behörde nichts an, solange nicht alle Mitwirkungs­pflichten von Bürgergeld-Beziehern ausgeschöpft sind.

Der Fall im Überblick

Auslöser des Rechtsstreits war ein Schreiben des Jobcenters an die Vermieterin, eine Wohnungsgenossenschaft: Darin verlangte die Behörde die vollständige Nebenkostenabrechnung samt sämtlicher Anlagen und begründete dies damit, der im Bürgergeldbezug stehende Mieter komme seiner Mitwirkungspflicht nicht nach. Als die Genossenschaft nicht reagierte, legte das Jobcenter nach und erließ ein formelles Auskunftsverlangen nach § 60 Abs. 2 SGB II (Auskunftspflicht und Mitwirkungspflicht Dritter), setzte eine knappe Frist und drohte für den Fall der Nichtbefolgung die Einleitung eines Bußgeldverfahrens an.

Dagegen wehrte sich die Vermieterin mit einer Klage und verlor – das Sozialgericht Halle gab dem Jobcenter zunächst sogar Recht (Az. S 24 AS 949/20 vom 30. Juli 2021). In der Berufung stellte jedoch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt am 19. März 2025 (Az. L 2 AS 511/21) fest, dass der Bescheid rechtswidrig war.

Bürgergeld: Jobcenter darf keine Bescheinigung des Vermieters verlangen

Entscheidung und Begründung

Das LSG betonte, dass § 60 Abs. 1 und 2 SGB II Dritten lediglich eine eng begrenzte Auskunftspflicht auferlegt. Vermieter müssen dem Jobcenter nur mitteilen,

  • ob ein Guthaben entstanden ist,
  • wie hoch es ausfällt und
  • ob es schon verrechnet oder ausgezahlt wurde.

Die Vorlage der vollständigen Nebenkostenabrechnung samt Anlagen ist von der Norm nicht gedeckt, weil der Vermieter kein „Guthabenführer“ ist: Ein etwaiges Guthaben entsteht erst mit der Jahres­abrechnung über die Nebenkosten und wird nicht wie Vermögen verwahrt. Hinzu kommt das Subsidiaritäts­prinzip: Das Jobcenter muss erst alle Mitwirkungs­pflichten der Bürgergeld-Empfänger als Mieter ausschöpfen. Erst wenn die Leistungs­beziehenden selbst alle Mitwirkungs­pflichten verletzt haben, darf die Behörde überhaupt Dritte einschalten. Ein Rundum-Einblick in Verbrauchs- und Haushaltsdaten wäre schlicht unverhältnismäßig und darüber hinaus datenschutzrechtlich problematisch.

Nebenkostenerstattung beim Bürgergeld – Anrechnung durch das Jobcenter

Rolle des Mieters

Zwischen Jobcenter und Vermieter besteht kein Mietvertrag, also auch kein Anspruch auf Einsicht in detaillierte Abrechnungsunterlagen. Wer als Leistungsträger gleichwohl mit Bußgeldandrohungen auftritt, überschreitet seine Kompetenzen und provoziert Spannungen im Haus: Der Vermieter wird zum Ermittlungsgehilfen degradiert, während der Mieter womöglich unter Druck gerät, ohne es überhaupt zu ahnen. Das Gericht betont deshalb, dass eine vollständige Abrechnung – falls sie überhaupt gebraucht wird – allein vom Mieter vorzulegen ist. In diesem Zusammenhang sind die Informationen von mietrecht.de interessant: Belegeinsicht Nebenkostenabrechnung – Rechte des Mieters

Praktische Folgen

Für Vermieter bedeutet das Urteil Rechtssicherheit: Ein kurzes Schreiben mit den drei gesetzlich zulässigen Angaben reicht aus. Ordnerweise Unterlagen dürfen sie zurückhalten und an den Mieter verweisen. Jobcenter müssen künftige Auskunfts­ersuchen schlank formulieren und dürfen bei Dritten nur die Fakten abfragen, die das Gesetz ausdrücklich zulässt. Bürgergeld-Empfänger sollten ihre Abrechnungen fristgerecht vorlegen, da bei Versäumnissen vorläufige Leistungs­festsetzungen oder Kürzungen drohen.

Einordnung

Das Urteil reiht sich in die gefestigte Rechtsprechung des Bundes­sozial­gerichts (B 14 AS 38/13 R) ein, das bereits 2014 entschieden hat, dass § 60 SGB II Dritte nur zu Auskünften und nicht zur Belegvorlage verpflichtet. Die Entscheidung stoppt damit den Trend mancher Jobcenter, ihre Ermittlungen auf Kosten fremder Vertrags­beziehungen zu vereinfachen, und stärkt den Datenschutz wie auch die Rechtssicherheit aller Beteiligten.