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Armenviertel für Bürgergeld-Empfänger – soziale Spaltung wächst

Heruntergekommene Fassade eines Mehrfamilienhauses in einer eher bescheidenen Wohngegend

Ghettos in Deutschland – kaum vorstellbar, aber längst Realität. Wer arm ist, Bürgergeld bezieht oder nur eine niedrige Rente hat, lebt immer seltener Tür an Tür mit dem Mittelstand oder gar den Reichen. Nein. Betroffene werden buchstäblich an den Rand gedrängt oder in Stadtteilen „zusammengepfercht“, in denen andere nicht leben möchten. Experten sprechen von sozialräumlicher Segregation. Ein hässliches Wort und eine noch schlimmere Entwicklung.

Mangelnde Durchmischung schadet der Gesellschaft

Gleich und gleich gesellt sich gern. Das mag für Beziehungen zutreffen, schadet aber dem Zusammenleben in Städten. Indem sich am Ortsrand oder wie im Ruhrgebiet in den Zentren Armenviertel bilden, wird die soziale Spaltung weiter vorangetrieben. Deshalb gilt es, der sozialen Segregation oder auf gut Deutsch Entmischung entgegenzuwirken.

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Soziale Stabilität schaffen

Dessen sind sich viele bewusst. Wirtschaftlich, räumlich und bisweilen auch gesellschaftlich wird es aber zunehmend schwerer, die wohnlichen Grenzen von Arm und Reich, Bürgergeld-Empfängern und Arbeitern wieder zu verwischen. Dabei wäre es wichtig. „Eine gute Durchmischung der Bevölkerung trägt zur sozialen Stabilität und Integration bei. Sie schafft Wohlbefinden im Quartier, Sicherheit und eine niedrige Kriminalitätsrate“, schreibt etwa das Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

Ghettoisierung in deutschen Städten

Noch tragen die Bemühungen jedoch keine Früchte. Eine Studie von Marcel Helbig, Forscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), hat für die 153 größten deutschen Städte ermittelt, wie die räumliche Verteilung von Arm und Reich aussieht. Das Ergebnis ist erschreckend, insbesondere für ostdeutsche Städte und das Ruhrgebiet. Hier bilden sich immer öfter Armenviertel für Bürgergeld Bedürftige und Co. Ein kleiner Lichtblick sind einige süddeutsche Städte, in denen die soziale Durchmischung besser wird.

Angespannter Wohnungsmarkt

Traurig, aber wahr: Auch der positive Trend im Süden Deutschlands basiert vor allem auf dem angespannten Mietmarkt. Weil selbst Menschen, die hart arbeiten, sich in vielen Ortsteilen die Miete nicht mehr leisten können, landen sie dort, wo auch Bürgergeld Bedürftige angemessenen – also eher preiswerten – Wohnraum finden.

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Familien mit Kindern besonders betroffen

Die ungleiche räumliche Verteilung verschiedener sozialer Gruppen ist je nach Region anders ausgeprägt (siehe Rangliste vom WZB). Im Osten Deutschlands nennt der Studienautor Plattenbausiedlungen im Kontrast zu den Innenstädten und Vororten. In Gelsenkirchen und Wolfsburg wiederum konzentriert sich die Armut im Zentrum der Stadt. Generell gilt für das Ruhrgebiet: Hier zeigt sich, dass vor allem arme Haushalte mit Kindern immer öfter ausgrenzt werden. So gibt es Stadtteile, in denen mehr als die Hälfte der Einwohner z.B. Bürgergeld oder Sozialhilfe erhält.

Licht und Schatten

Wer heute nach den Hot-Spots sozialer Trennung sucht, landet fast zwangsläufig im Norden und Osten: In Schwerin und Salzgitter ist Armut so stark auf wenige Quartiere konzentriert, dass Fachleute von „sehr hoher Segregation“ sprechen. Eine ähnliche Ballung zeigt sich auch in Rostock, Halle (Saale), Erfurt und Kiel – allesamt Städte, in denen einzelne Viertel spürbar abgehängt bleiben.

Das Gegenbild liefern vor allem süddeutsche Mittelstädte. Ludwigsburg, Sindelfingen, Kempten und Konstanz gelten nach wie vor als Positiv­beispiele: Hier verteilt sich Armut verhältnismäßig gleichmäßig über das Stadtgebiet, weshalb es kaum klassische „Brennpunkte“ gibt.

Dazwischen liegt ein breites Mittelfeld – etwa Städte wie Offenbach, Karlsruhe oder Augsburg. Sie weisen weder die extreme Ballung der Spitzenreiter auf noch die entspannte Durchmischung der süddeutschen Vorzeige­kommunen, bewegen sich aber im gesamtdeutschen Vergleich inzwischen im soliden Mittelfeld.

Kurzum: Die soziale Karte Deutschlands zeigt heute ein noch deutlicheres Nord-/Ost-Süd-Gefälle als vor einigen Jahren – mit wenigen, aber lehrreichen Ausnahmen, die beweisen, dass eine ausgewogene Verteilung weiterhin möglich ist.