Die Sachlichkeit in der Debatte um das Bürgergeld ist längst purer Hetze gewichen. Betroffene als faul und Sozialschmarotzer zu bezeichnen, scheint daher völlig normal und für die meisten auch in Ordnung zu sein. Ist es aber nicht. Und glücklicherweise sehen das neben den Sozialverbänden auch Sozialgerichte so.
Wer ernsthaft glaubt, eine Bürgergeld-Bedürftige in übelster Weise beleidigen und beim Jobcenter anschwärzen zu müssen, sollte damit rechnen, selbst in den Fokus zu geraten. Dieser Ansicht ist zumindest das Sozialgericht Berlin.
Sozialbetrug als Straftatbestand – Bürgergeld als Türöffner für mehr Kontrolle?
XY schwärzt Betroffene beim Jobcenter an
Wenn jemand der Überzeugung ist, dass ein Bürgergeld-Bedürftiger zu Unrecht Leistungen erhält, darf er das jederzeit dem zuständigen Jobcenter mitteilen. Allerdings macht auch hier der Ton die Musik. In dem vor dem Sozialgericht Berlin verhandelten Fall glich das Denunzianten-Schreiben eher einer Kakophonie.
Darin wurde einer Frau vorgeworfen, sie habe ein Auto und ein Haus geerbt, arbeite schwarz als Putzfrau. Daher sei nicht nachvollziehbar, warum ausgezeichnet eine solche „Sozialschmarotzerin alles vom Staat bezahlt bekomme und wohl jede Arbeitsstelle umgehe“. Gezeichnet mit „XY“ und einer krakeligen Unterschrift.
Jobcenter macht Unterschrift unkenntlich
Das Jobcenter nahm angesichts dieser Behauptungen Ermittlungen auf. In deren Verlauf lösten sich alle Vorwürfe in Luft auf. Ja, der Vater der Frau war verstorben. Aber die Bürgergeld-Empfängerin hatte kein Haus geerbt und das Auto auch schon zu Lebzeiten des Vaters nutzen dürfen.
Um nun zu klären, wer ihr da das Leben schwer machen wollte, bat sie um Akteneinsicht. Sie erhielt jedoch nur ein Dokument mit geschwärzter Unterschrift. Das Jobcenter weigerte sich mit Verweis auf die „berechtigten Interessen des Informanten an seiner Geheimhaltung“, die Schwärzung zu entfernen.
Schädigung war das Ziel
Damit kam das Jobcenter vor dem Sozialgericht Berlin (S 103 AS 4461/20) nicht weit. Hier komme es auf eine Interessenabwägung an. In diesem Fall überwog das Interesse der Leistungsempfängerin, weil bewusst und leichtfertig falsche und rufschädigende Informationen übermittelt worden waren.
Zwar enthalte das Schreiben einige für die Verwaltung relevante Informationen. Doch im Kern würden nur Pöbeleien verbreitet. Die Bürgergeld-Bedürftige als Sozialschmarotzerin zu bezeichnen, sei beleidigend. Hinsichtlich der Schwarzarbeit seien weder Arbeitgeber noch Arbeitsstellen genannt worden. Kurzum: Dem anonymen Schreiber ging es nur darum, die Frau zu schädigen.
Da sie möglicherweise anhand der Unterschrift den Urheber ausfindig machen und rechtlich gegen ihn vorgehen könne, muss die Akte ungeschwärzt vorgelegt werden.
Sozialbetrug: Bürgergeld-Bedürftige permanent unter Generalverdacht
Wer will schon Denunziant und Lügner sein?
Wer sich nun also aufregt, dass die Bürgergeld-Kinder von nebenan neue Söckchen tragen oder Bedürftige das Auto der Eltern fahren: Statt gleich Zeter und Mordio zu rufen und dem Jobcenter als „interessierter Bürger“ hanebüchenen Mist aufzutischen, sollte man einfach mal tief durchatmen. Vieles entzerrt sich nach einem zweiten oder dritten Blick.
Nur wenn es handfeste Beweise für Leistungsmissbrauch und Sozialbetrug gibt, die sachlich vorgetragen werden, leistet man wertvolle Arbeit und sich selbst keinen Bärendienst. Denn wer will schon ganz offiziell als Denunziant und Lügner dastehen?


