Die Schonzeit ist vorbei. Gesetzliche Krankenkassen ziehen gegen die Bundesrepublik vor Gericht, weil der Bund aus ihrer Sicht seit Jahren zu wenig für die Gesundheitskosten von Bürgergeld-Empfängern überweist. Im Raum steht eine Unterdeckung von rund zehn Milliarden Euro pro Jahr, die am Ende von Beitragszahlern gestemmt wird. Der Streit trifft das Bürgergeld in einer Phase, in der es ohnehin politisch unter Dauerbeschuss steht.
Kern des Streits: Wer zahlt die Gesundheitskosten?
Im Mittelpunkt steht die Pauschale, die der Bund für Bürgergeld-Empfänger an den Gesundheitsfonds der gesetzlichen Krankenversicherung zahlt. Aktuell sind das rund 133 Euro pro Kopf und Monat. Nach Berechnungen von Gutachten und Kassenverbänden reichen diese Beträge aber längst nicht mehr aus, um die tatsächlichen Gesundheitskosten zu decken.
Krankenversicherung & Bürgergeld: was übernimmt das Jobcenter?
Die Krankenkassen gehen von durchschnittlichen Monatskosten in Höhe von über 300 Euro pro Bürgergeld-Empfänger aus. Der Bund übernehme damit im Schnitt nur etwa ein Drittel der notwendigen Ausgaben. Die Differenz zahlen die Kassen aus ihren laufenden Budgets, die überwiegend aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern kommen.
Hochgerechnet ergibt sich daraus eine gewaltige Lücke. Millionen Menschen im Bürgergeld-Bezug summieren sich zu einem zweistelligen Milliardenbetrag, den die GKV jedes Jahr querfinanzieren muss. Genau diese Lücke erklären die Kassen nun zur politischen und rechtlichen Streitfrage – im Namen von rund 75 Millionen gesetzlich Versicherten, deren Beiträge aus Sicht der Kassen „zweckentfremdet“ werden.
| Position | Betrag pro Monat |
|---|---|
| Bundes-Pauschale an den Gesundheitsfonds | 133,17 Euro |
| Geschätzte durchschnittliche Gesundheitskosten | über 300 Euro |
| Finanzielle Lücke pro Person | rund 170 Euro |
| Hochgerechnet auf ca. 5 Mio. Bürgergeld-Empfänger | etwa 10 Mrd. Euro pro Jahr |
Die Zahlen sind gerundet und basieren auf Auswertungen von Kassenverbänden und Gutachten im Auftrag des Bundes. Sie zeigen die Größenordnung der Unterdeckung.
Warum die Krankenkassen jetzt klagen
An der grundsätzlichen Kritik arbeiten sich die Krankenkassen seit Jahren ab. Immer wieder wurde auf Studien verwiesen, nach denen die Kosten für Bürgergeld-Empfänger deutlich über den Pauschalen liegen. Mehrere Koalitionsverträge hatten versprochen, diese Unterdeckung zu beheben. Passiert ist jedoch wenig, die Pauschalen blieben aus Sicht der Kassen deutlich unter dem realen Bedarf.
Jetzt zieht der GKV-Spitzenverband die Notbremse. Er klagt im Namen der meisten gesetzlichen Krankenkassen vor dem zuständigen Landessozialgericht. Angegriffen werden Zuweisungsbescheide des Bundesamts für Soziale Sicherung, indirekt also die Finanzierungslogik des Bundes. Parallel dazu geht mit der DAK eine der großen Krankenkassen mit einer eigenen Klage gegen den Bund vor und schließt sich damit der Linie des Spitzenverbandes an. Das unterstreicht, dass es sich nicht nur um ein Verbandsmanöver, sondern um ein echtes Risiko für die Haushalte einzelner Kassen handelt.
Die Botschaft der Kassen ist klar: Der Bund darf die gesetzliche Krankenversicherung nicht dauerhaft als Billiglieferanten für die Gesundheitsversorgung einkommensarmer Haushalte nutzen. Wenn das Bürgergeld als Existenzminimum definiert ist, müsse der Staat auch die dafür nötige Gesundheitsversorgung vollständig aus Steuermitteln bezahlen.
Folgen für Bürgergeld-Empfänger und Beitragszahler
Für Bürgergeld-Empfänger ändert sich durch die Klagen kurzfristig nichts. Wer Bürgergeld erhält, bleibt ganz normal in der gesetzlichen Krankenkasse versichert. Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte, Medikamente und Therapien werden weiter wie bisher abgerechnet. Auch eine Schlechterstellung dieser Gruppe ist nicht Ziel der Klage.
Die eigentliche Frage lautet: Wer trägt die Rechnung. Derzeit fließt der nicht gedeckte Teil der Gesundheitskosten über die Beiträge in die Budgets der Kassen. Das trifft alle gesetzlich Versicherten, auch zukünftige Ex-Bürgergeld-Empfänger, die irgendwann wieder in Arbeit sind. Kassenvertreter betonen, dass bei voller Finanzierung durch den Bund Beitragserhöhungen der vergangenen Jahre hätten abgemildert werden können. In manchen Berechnungen ist sogar von Spielraum für eine Senkung die Rede.
Krankenkassen-Misere macht Bürgergeld Bedürftige zu Sündenböcken
Scheitern die Klagen, bleibt die Belastung bei den Beitragszahlern. Setzen sich die Krankenkassen durch, müsste der Bund nachjustieren und deutlich mehr Steuergeld in die GKV pumpen. Möglich ist auch, dass Gerichte nur teilweise Recht geben und die Politik auf einen Kompromiss drängen.
Politische Brisanz über das Bürgergeld hinaus
Der Konflikt ist damit mehr als ein Fachstreit über Rechenmodelle. Er legt offen, wie stark der Bund sich über Pauschalen und Sonderregelungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung entlastet. Bürgergeld-Empfänger stehen im Fokus, sind aber nicht die einzige Gruppe, für die der Staat reduzierte Beiträge überweist.
Politisch ist der Fall heikel. Eine vollständige Schließung der Lücke würde den Bundeshaushalt stark belasten. In Zeiten knapper Kassen wäre das nur mit Einschnitten an anderer Stelle oder zusätzlichen Einnahmen zu stemmen. Auf der anderen Seite lässt sich schwer vermitteln, warum Beschäftigte, Rentner und Arbeitgeber über ihre Beiträge einen Teil der Sozialpolitik finanzieren sollen, der eigentlich Aufgabe des Staates ist.
Die Klagen der Krankenkassen zwingen die Politik damit zu einer Grundsatzentscheidung. Entweder der Bund übernimmt die realen Gesundheitskosten von Bürgergeld-Empfängern und entlastet damit das Beitragssystem. Oder er hält an der bisherigen Konstruktion fest, riskiert weitere Verfahren und eine noch schärfere Debatte darüber, wer für das Existenzminimum tatsächlich zahlt.


