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Doppelt gestraft: Jobcenter fordert 3.200 € Bürgergeld zurück – trotz Gehaltsrückzahlung

Verzweifelte Person mit Kopf auf dem Tisch und Euro-Münzen, symbolisiert Armut und Schulden.

Das Zuflussprinzip beim Bürgergeld ist eine Einbahnstraße, wie eine Hilfebedürftige sehr teuer erfahren musste. Nachdem sich in der zweiten Instanz der Kündigungsschutzklage herausgestellt hatte, dass ihr das Gehalt – welches bereits als Einkommen auf das Bürgergeld angerechnet wurde – zu Unrecht ausgezahlt wurde, musste sie dieses zurückzahlen. Dennoch hob das Jobcenter die Bewilligung auf und forderte für den Zeitraum des Zuflusses Leistungen in Höhe von fast 3.200 € zurück. Nach zwei Verfahren vor Arbeitsgerichten und weiteren zwei Verfahren vor Sozialgerichten ist dies auch die Summe, auf denen die Bürgergeld Bedürftige sitzen bleibt.

Die Anrechnung eines nachträglich zu Unrecht bezogenen Einkommens führt beim Bürgergeld zu einem Fallbeileffekt. An diesem Fall zeigt sich deutlich, wie Hilfebedürftige durch das Zuflussprinzip erhebliche finanzielle Nachteile erleiden können.

Fristlose Kündigung: Bürgergeld-Empfängerin soll 3.600 Euro ans Jobcenter zurückzahlen

Der Fall: Kündigung, Klage, Nachzahlung

Die Klägerin, eine 1967 geborene, alleinlebende Frau, war seit 1991 bei einer Gewerkschaft angestellt. Zum 30. September 2018 wurde ihr Arbeitsvertrag gekündigt, woraufhin sie Kündigungsschutzklage erhob und zunächst vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Berlin erfolgreich war (17 Ca 372 vom 07.08.2018). Gleichzeitig bezog die Frau Grundsicherung vom Jobcenter (heute Bürgergeld).

Nach der Entscheidung des Arbeitsgericht Berlin in erster Instanz zahlte ihre Arbeitgeberin Gehalt nach, so dass der Hilfebedürftigen im Januar 2019 9.457,17 € zuflossen, sowie im Februar und März 2019 jeweils 2.366,11 €. Auf Berufung der Arbeitgeberin wurde das Urteil des ArbG jedoch vom Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg aufgehoben und die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Daraufhin forderte die Arbeitgeberin im November 2019 die Rückzahlung der gezahlten Gehälter in Höhe von insgesamt 14.189,39 €, die bereits zudem zur Aufhebung der Bürgergeld-Leistungen geführt haben.

Aufgrund dieser nachträglichen Gehaltszahlungen – die zunächst auf dem Konto der Klägerin zugeflossen sind – hob das Jobcenter die Bewilligung der Bürgergeld-Leistungen ab April 2019 auf und verlangte die Erstattung der bereits gezahlten Leistungen für den Zeitraum Januar bis März 2019 in Höhe von 3.182,73 €. Die Rückzahlung sollte durch Aufrechnung und damit einen Einbehalt von 10% des monatlichen Regelsatzes (43,20 €) erfolgen.

Das „Zuflussprinzip“: Wie das Einkommen zur Falle wird

Da die Frau nun ohne das nachträglich gezahlte Gehalt und auch (aufgrund der Einkommensanrechnung des zu Unrecht bezogenen Gehalts in den Zuflussmonaten) ohne Bürgergeld da stand, erhob sie Klage vor dem Sozialgericht. Doch auch das Sozialgericht Potsdam kam zu keinen anderen Schluss als das Jobcenter und wies die Klage ab (S 25 AS 553/20 vom 08.11.2023).

In der Begründung hieß es, dass die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum bedarfsdeckendes Einkommen aus den nachgezahlten Arbeitsentgelten bezogen habe, die zum Wegfall des Anspruchs auf SGB II-Leistungen geführt hätten. Diese Entscheidung wurde auf Grundlage von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X in Verbindung mit § 40 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II und § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III getroffen. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, wenn nach dessen Erlass Einkommen erzielt wird, das zum Wegfall des Leistungsanspruchs führt.

Urteil bestätigt: Das Argument der Rückzahlung zählt nicht

In Berufungsverfahren vor dem LSG Berlin-Brandenburg führte die Klägerin an, dass das „versehentlich“ nachgezahlte Entgelt ihr aufgrund des LAG-Urteils nicht zugestanden habe und somit bereits bei Zufluss eine Rückzahlungsverpflichtung bestand. Das Landessozialgericht wies diese Argumentation zurück und bestätigte die Entscheidung des Sozialgerichts. Es stellte klar, dass das Einkommen im Zuflussmonat berücksichtigt werden müsse, auch wenn nachträglich eine Rückzahlungspflicht entstehe (18 AS 1178/23 vom 20.03.2024).

Entscheidend sei, dass im Zuflussmonat keine wirksame Rückzahlungsverpflichtung bestand. Somit sei das Gehalt als Einkommen beim Bürgergeld zu berücksichtigen gewesen, und die Hilfebedürftigkeit der Klägerin entfalle für diesen Zeitraum.

Das Gericht bestätigte auch die Rechtmäßigkeit der Aufrechnung von 10% des monatlichen Regellsatzes gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB II. Die Rücknahme der Leistungsbewilligung und die Erstattungsforderung waren formell rechtmäßig und entsprachen den gesetzlichen Vorgaben.

Fallbeileffekt: Wenn das Gesetz die Not verschärft

Das Urteil zeigt, wie gravierend sich das Zuflussprinzip auswirken kann. Entscheidend für das Jobcenter ist lediglich die Zufluss-Situation in den Monaten, in denen Bürgergeld Leistungen bezogen werden. Ob diese Zahlung rechtmäßig waren, spielt für die Anrechnung auf das Bürgergeld keine Rolle, so lange keine wirksame Rückzahlungsverpflichtung besteht.

Ähnlich verfahren bspw. die Jobcenter auch beim Kindergeld volljähriger Kinder. Dieses wird grundsätzlich auf den Bedarf der Kinder in der Bedarfsgemeinschaft angerechnet und mindert das Bürgergeld. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass das Kindergeld zu Unrecht bezogen wurde, da die Voraussetzung über das 18 Lebensjahr nicht mehr bestanden, fordern die Familienkassen regelmäßig zu viel ausgezahltes Kindergeld zurück. Der Einbehalt beim Bürgergeld bleibt aber weiterhin bestehen, so das Betroffene sowohl das Kindergeld als auch das Bürgergeld in gleicher Höhe verlieren.