Ex-BA-Chef Detlef Scheele beklagt bandenmäßigen Bürgergeld-Missbrauch und nennt Schein-Minijobs als Schlüssel der Masche. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 24.09.2025 fordert er, § 7 SGB II und EU-Regeln so zu präzisieren, dass ein Minijob nicht länger automatisch den Zugang zu aufstockendem Bürgergeld samt Unterkunftskosten öffnet. Die Bundesregierung registrierte 2024 bundesweit 421 Fälle von „bandenmäßigem Leistungsmissbrauch“. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der Leistungsfälle ist das wenig – für Jobcenter und Ermittler aber ein wachsender Schwerpunkt.
Inhaltsverzeichnis
Scheeles Kernforderung: Ende der Minijob-Lücke
Scheele skizziert das Muster so: Menschen werden in problematische Wohnungen gebracht, formal bei Minijobs angemeldet, anschließend wird aufgestockt. Sein Kernzitat: „Die Leute werden hierhergefahren, in heruntergekommenen Immobilien gemeldet, gehen angeblich einem Minijob nach und erhalten dann Aufstockerleistungen.“ Er verlangt, „den Paragrafen 7 im Sozialgesetzbuch II“ anzupassen, damit nicht mit fiktiven Beschäftigungsbescheinigungen ganze Bedarfsgemeinschaften finanziert werden. Zudem brauche es einen deutlich besseren Datenabgleich zwischen Behörden.
Bürgergeld und Minijob – so viel bleibt anrechnungsfrei
Gesetzliche Schwachstelle: Minijobs hebeln Ausschluss aus
§ 7 SGB II regelt Anspruchsvoraussetzungen und Ausschlüsse. EU-Bürger sind bei „nur Arbeitssuche“ grundsätzlich ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2). In der Praxis genügt jedoch oft eine geringfügige Beschäftigung, um als erwerbstätig zu gelten. Dann greift der Ausschluss nicht mehr – hier setzen Schein-Minijobs an. Nach fünf Jahren gewöhnlichem Aufenthalt besteht zudem eine Rückausnahme: Trotz Ausschlussgrund entsteht ein Anspruch auf Bürgergeld (§ 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II). Parallel verleiht § 4a FreizügG/EU nach fünf Jahren rechtmäßigem Aufenthalt ein Daueraufenthaltsrecht mit umfassender Gleichbehandlung.
Betrugsmuster: So funktioniert die Schein-Job-Masche
Formale Anstellungen mit sehr niedrigen Stundenumfängen verschaffen Zugang zu ergänzendem Bürgergeld. Häufig tritt der Arbeitgeber zugleich als Vermieter auf. Marode Wohnungen zu überhöhten Mieten werden dann über die Kosten der Unterkunft finanziert. Für eine wirksame Eindämmung braucht es zeitnahe Betriebs- und Ortskontrollen, den Abgleich von Lohn- und Meldedaten sowie belastbare Nachweise tatsächlicher Arbeitsleistung. Reine Bescheinigungen reichen nicht.
Bürgergeld-Mafia: Betrug mit Schrottimmobilien und Scheinjobs
Die Hotspots: Missbrauch in Duisburg und Berlin
Die Bundesregierung weist für 2024 421 bekannte Fälle „bandenmäßig“ aus. In den beschriebenen Strukturen dominieren Rumänen und Bulgaren.
- Duisburg: Das Jobcenter beziffert rund 11.000 Bürgergeld-Empfänger aus Rumänien und Bulgarien. Beschrieben werden Schein-Minijobs und Vermietung durch Arbeitgeber in maroden Häusern zu überhöhten Mieten.
- Berlin: Der Berliner Jobcenter-Chef spricht von „lernenden Banden“, die ihre Methoden anpassen. Belegt sind wiederkehrende Muster aus fingierten Beschäftigungen und anschließender Aufstockung.
- Rhein-Ruhr: Behördenmeldungen und Landesaktionen dokumentieren ähnliche Konstellationen in Gelsenkirchen, Krefeld, Leverkusen, Wuppertal – Schwerpunktkontrollen in Problemimmobilien, Ermittlungen zu fingierten Arbeitsverhältnissen und Verfahren wegen Sozialleistungsmissbrauchs.
Linnemanns Forderung: Faktische Vollzeit-Pflicht
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann fordert eine Neudefinition des Arbeitnehmerbegriffs auf EU-Ebene. Kernsatz: „Wenige Stunden zu arbeiten und den Rest aufzustocken, obwohl man Vollzeit arbeiten kann, darf nicht möglich sein.“ Nach seiner Vorstellung soll grundsätzlich Vollzeittätigkeit maßgeblich sein, insbesondere bei kinderlosen Singles. Damit zielt er direkt auf Minijob-Konstellationen, die den Leistungsausschluss bei „nur Arbeitssuche“ aushebeln. Die Frage bleibt, wie sich das mit dem unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und dem verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimum vereinbaren lässt.
Bürgergeld als Turbo für Schwarzarbeit? Schattenwirtschaft auf Rekordhoch
Lösungsansätze: Kontrolle, Opferschutz und Zoll
Die Fälle zeigen ein reales, klar abzugrenzendes Kriminalitätsproblem. Entscheidend ist, Strukturermittlungen zu stärken und Belegpflichten für Beschäftigung realitätsnäher zu fassen, ohne reguläre Einsteigerjobs zu erschweren. Sinnvoll sind:
- Opferschutz-Perspektive für Abhängige, die in Strukturen gedrängt wurden – härter gegen Drahtzieher, Beratung statt Generalverdacht für Leistungsberechtigte.
- Standardisierte Prüfbausteine bei Minijobs: zeitnahe Betriebs- und Ortskontrollen, Abgleich von Lohnflüssen mit Meldedaten, Bestätigung realer Arbeitsleistung.
- Schnittstellen mit dem Zoll (Finanzkontrolle Schwarzarbeit) und Ausländerbehörden, damit Verdachtsmeldungen schneller in Ermittlungen münden.

