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Bürgergeld und Miete: Gericht kippt Mietobergrenze des Jobcenters

Hand hält Ablehnungsbescheid des Jobcenters vor unscharfer Häuserfassade

Von Bürgergeld-Empfängern wird erwartet, bei der Wohnungssuche nach jedem noch so kleinen Strohhalm zu greifen. Sie müssen den gesamten Wohnungsmarkt in die Suche einbeziehen. Geht es indes um die Angemessenheit der Wohnkosten, machen es sich Jobcenter gerne leicht. Statt den Markt repräsentativ zu sondieren, wird teils nur auf die Daten weniger institutioneller Vermieter zurückgegriffen. Ein solches Konzept ist laut dem hessischen Landessozialgerichts allerdings nicht schlüssig und daher unwirksam.

Regelmäßiger Streit über Wohnkosten

Darüber, ob eine Wohnung zu groß oder zu teuer ist, wird beim Bürgergeld regelmäßig gestritten. Ausschlaggebend dabei sind viele Aspekte. Während einige Gerichte darauf abstellen, dass die als angemessen geltenden Wohnungen auch tatsächlich verfügbar sein müssen, schauen andere eher auf das Konzept der Jobcenter hinsichtlich der Angemessenheit. In dem Fall, der zunächst vor dem Sozialgericht Gießen und dann vor dem hessischen Landessozialgericht verhandelt wurde, stammte das Konzept von einem Dienstleister.

Bürgergeld Mietobergrenzen – so hoch darf die Miete sein

Miete zu hoch

Geklagt hatte eine Frau, deren 60 Quadratmeter große Wohnung 406,60 Euro bruttokalt und 59 Euro für die Heizung kostete. Das Jobcenter teilte mit, angemessen seien lediglich 304,72 Euro Bruttokaltmiete und damit 101,88 Euro im Monat weniger. Es wurde ein Kostensenkungsverfahren eingeleitet, mit Hinweis, dass insbesondere ein Umzug in Betracht gezogen werden müsse zur Reduzierung der Wohnkosten.

Jobcenter trägt nur angemessene Kosten

Da die Frau zunächst keine günstigere Wohnung fand, zahlte das Jobcenter nicht die tatsächlichen sondern nur die als angemessen erachtete Bruttokaltmiete. Die Heizkosten waren indes unstrittig. Dagegen klagte die Bürgergeld-Empfängerin. Das Sozialgericht forderte das Jobcenter auf, die vollen Kosten zu tragen, weil keine konkrete Unangemessenheit vorliege und die Frau sich ausreichend bemüht hatte. Bereits in der Verhandlung vor dem Sozialgericht wurde das Konzept zur Angemessenheit auseinandergenommen, allerdings nicht beanstandet. Anders beim LSG, das Klartext sprach (L 9 AS 138/19).

Komplexes Berechnungsverfahren

Um den angemessenen Umfang der Kosten zu ermitteln, seien zwei Schritte erforderlich.

  1. Die abstrakt angemessenen Kosten ermitteln.
  2. Diesen Wert mit den tatsächlichen Ausgaben vergleichen und die subjektive Angemessenheit prüfen, auch mit Blick auf die Zumutbarkeit von Einsparungen.

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Wohnungsgröße, Standard, Miete, kalte Nebenkosten

Der erste Aspekt setze voraus, dass die angemessene Wohnungsgröße (im vorliegenden Fall 45 Quadratmeter) und die angemessenen Wohnungsstandards (einfach, unteres Marktsegment) bestimmt werden, die Nettokaltmiete im maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum ermittelt werde und kalten Nebenkosten einbezogen werden. Das größte Problem dabei, an dem letztlich auch das Jobcenter scheiterte: die Nettokaltmiete und der Vergleichsraum. Hier mangelte es aus Sicht des Gerichtes an einem schlüssigen Konzept.

Hinzu kam: Das Jobcenter konnte nicht ausreichend nachweisen, ob im maßgeblichen Zeitraum überhaupt genügend Wohnungen zu den festgelegten Mietobergrenzen verfügbar waren. Ein bloßer Verweis auf rechnerisch ermittelte Grenzwerte reicht nicht aus, wenn auf dem Markt kaum oder gar keine Wohnungen zu diesen Konditionen existieren. Auch dieser fehlende Praxisbezug trug zur Unschlüssigkeit des Konzepts bei.

Räumlicher Vergleichsmaßstab

Während das Bundessozialgericht bereits mehrfach das Stadtgebiet – auch bei kleinen Gemeinden – als räumlichen Vergleichsmaßstab festgelegt hat, wurden vom Dienstleister des Jobcenters innerhalb der Stadt Wohnungsmarkttypen mit unterschiedlichen Angemessenheitsgrenzen definiert. Dafür gebe es keine rechtliche Begründung.

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Kalkulation mangelhaft

Aber auch das überarbeitete Konzept, wonach 333,50 Euro angemessen gewesen wären, entsprach nicht den gesetzlichen Vorgaben: Es war nicht repräsentativ: Weil von 7.433 Mietwerten nur 1,4 Prozent von privaten Vermietern stammten und 7.328 von institutionellen Anbietern. Dabei stellen private Vermieter in der Region des Jobcenters 60 Prozent der Wohnungen. Deshalb sei, so der Dienstleister, ein Gewichtungsverfahren zum Einsatz gekommen.

Daran hegten die Richter allerdings Zweifel. Ein solches Verfahren sei nicht erkennbar, auch sei nicht auf die Kaltmieten von privaten und institutionellen Vermietern eingegangen worden. Das Landessozialgericht bemängelte konkret das „Auseinanderfallen von Realität und vorhandenen Daten“. Daher wurde zur Bestimmung der Angemessenheit auf die Wohngeldwerte plus zehn Prozent zurückgegriffen. Demnach hätte die hilfebedürftige Frau Anspruch auf 363 Euro gehabt und somit 58,28 Euro mehr im Monat als vom Jobcenter ermittelt.