Neuer Vorstoß zur Einkommensanrechnung: Ein Beirat des Finanzministeriums empfiehlt, Minijobs im Bürgergeld vollständig anzurechnen – und oberhalb der Minijobgrenze pauschal 30 Prozent freizustellen. Die Regierung lässt prüfen, beschlossen ist nichts.
Inhaltsverzeichnis
Was konkret geprüft wird
Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium empfiehlt, die Hinzuverdienstregeln neu zu ordnen. Kernidee: Einkommen bis zur Minijobgrenze würden vollständig mit den Leistungen verrechnet. Erst oberhalb dieser Schwelle bliebe von jedem zusätzlichen Euro ein fixer Anteil von 30 Prozent unangetastet. Ziel ist eine einfache, durchgängige Anreizstruktur ohne Brüche.
Begründung und Streitpunkte
Der Beirat will Brüche und Transferklippen vermeiden. Jede zusätzliche Stunde soll sich mit einer einheitlichen 30-Prozent-Mitnahmequote lohnen. Kritiker halten dagegen: Eine Vollanrechnung von Minijobs trifft ausgerechnet jene, für die ein Minijob heute der praktikable Einstieg ist. Die These, Minijobs begünstigen Missbrauch, ist umstritten. Entscheidend ist am Ende das Gesamtpaket: niedrigere Entzugsraten über alle Leistungen und klare Abstimmung mit Wohngeld und Kinderzuschlag – nicht allein eine neue Bürgergeld-Formel.
Bürgergeld-Mafia: Betrug mit Schrottimmobilien und Scheinjobs
Minijobgrenze steigt von 556 Euro auf 603 Euro
Die Minijobgrenze ist dynamisch an den Mindestlohn gekoppelt. 2025 liegt sie bei 556 Euro pro Monat. Zum 1. Januar 2026 steigt der Mindestlohn auf 13,90 Euro. Dadurch erhöht sich die Minijobgrenze auf 603 Euro.
Entwicklung der Minijob-Grenze
| Jahr | Grenze pro Monat |
|---|---|
| 2024 | 538 € |
| 2025 | 556 € |
| 2026 | 603 € |
Die Werte 2024 und 2025 sind offiziell bestätigt, der Sprung 2026 folgt aus der beschlossenen Mindestlohnerhöhung und der gesetzlichen Kopplung.
Bürgergeld & Minijob: Freibetrag berechnen – So viel bleibt anrechnungsfrei
Der Bruch mit dem Status quo
Heute – seit dem 01.07.2023 – gelten im Bürgergeld gestaffelte Freibeträge nach § 11b SGB II, bezogen auf das Bruttoeinkommen:
- 100 Euro Grundfreibetrag
- 20 Prozent vom Brutto zwischen 100 und 520 Euro
- 30 Prozent zwischen 520 und 1.000 Euro
- 10 Prozent zwischen 1.000 und 1.200 Euro – mit minderjährigem Kind bis 1.500 Euro
Davor – also unter Hartz IV und auch im Bürgergeld vom 1. Januar bis 30. Juni 2023 – galt die alte Staffel ohne 520-Schwelle in § 11b Abs. 3 SGB II – in der bis 30.06.2023 geltenden Fassung:
- 100 Euro Grundfreibetrag
- 20 Prozent vom Brutto 100 bis 1.000 Euro
- 10 Prozent vom Brutto 1.000 bis 1.200 Euro – mit minderjährigem Kind bis 1.500 Euro.
Die Freibeträge werden prozentual am Brutto ermittelt und als anrechnungsfreier Betrag vom zu berücksichtigenden Nettoeinkommen abgezogen. Damit bleiben aktuell 348 Euro bzw. 378 Euro bei Eltern vom Nettoeinkommen anrechnungsfrei. Wer tatsächlich höhere notwendige Ausgaben als die 100-Euro-Pauschale nachweist, kann sie anstelle der Pauschale ansetzen – vorausgesetzt, das Erwerbseinkommen liegt über 400 Euro und die Summe der Ausgaben übersteigt 100 Euro.
Der Beirat will dieses System glätten. Sein Punkt: Eine konstante Mitnahmequote von 30 Prozent oberhalb der Minijobgrenze sei transparent und belohne jede zusätzliche Stunde. Gleichzeitig soll die Grundsicherung perspektivisch vereinheitlicht und mit Wohngeld und Kinderzuschlag verzahnt werden. Erst diese Gesamtarchitektur soll die bekannten Transferklippen wirklich beseitigen.
U25, Schüler- und Ferienjobs: keine Änderungen bekannt
Nach aktuellem Kenntnisstand standen die Sonderfreibeträge für unter 25-Jährige in Schule, Studium oder Ausbildung (§ 11b Abs. 2b SGB II) sowie die vollständige Freistellung von Schüler-Ferienjobs (§ 11a Abs. 7 SGB II) nicht zur Diskussion. Der Beiratsvorschlag zielt ausschließlich auf die allgemeinen Erwerbstätigenfreibeträge. Es liegen keine Hinweise vor, dass die genannten Sonderregelungen angepasst werden sollen. Für diese Gruppen bleiben bis zur Geringfügigkeitsgrenze die bekannten Regeln unverändert – 2025 sind das 556 Euro, 2026 aufgrund der Mindestlohn-Anpassung auf 13,90 Euro pro Stunde 603 Euro.
Beispielrechnungen: Wer gewinnt, wer verliert?
Hinweis: Die folgenden Beträge betrachten ausschließlich die Bürgergeld-Anrechnung. Wirkungen im Zusammenwirken mit Wohngeld und Kinderzuschlag sind derzeit nicht modellierbar.
Wichtig: Das sind Modellrechnungen zum Bürgergeld-Anteil. Der Beirat denkt das System übergreifend. Dennoch zeigen die Zahlen, warum die Debatte polarisiert.
Beispiel A – Brutto 600 Euro im Monat, 2025:
- Aktuell: 100 Euro Grundfreibetrag plus 20 Prozent von 420 Euro plus 30 Prozent von 80 Euro. Summe der Freibeträge: 208 Euro.
- Beirat-Modell: Minijobgrenze 556 Euro wird voll angerechnet. Nur 44 Euro liegen darüber. 30 Prozent davon bleiben frei, also 13,20 Euro.
Ergebnis: Bei reiner Bürgergeld-Betrachtung würde hier deutlich weniger anrechnungsfrei bleiben.
Beispiel B – Brutto 1.200 Euro im Monat:
- Aktuell: 100 Euro plus 20 Prozent von 420 Euro plus 30 Prozent von 480 Euro plus 10 Prozent von 200 Euro. Summe: 348 Euro.
- Beirat-Modell 2025: 1.200 minus 556 gleich 644 Euro oberhalb der Grenze. 30 Prozent davon bleiben frei, also 193,20 Euro.
Im Beiratsmodell läge der reine Bürgergeld-Freibetrag regelmäßig niedriger. Um den heutigen Freibetrag von 348 Euro zu erreichen, wäre 2025 ein Bruttoeinkommen von 1.716 Euro erforderlich. Für 378 Euro Freibetrag bei Eltern mit minderjährigem Kind wären 1.816 Euro nötig. Durch die höhere Minijobgrenze verschieben sich die Schwellen 2026 auf rund 1.763 bzw. 1.863 Euro.
Die Berechnung betrifft ausschließlich das heutige Bürgergeld. In einem möglichen Gesamtmodell würden Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag zu einer einzigen Leistung zusammengeführt – es käme also nichts „oben drauf“. Stattdessen würde diese eine Leistung mit jedem zusätzlich verdienten Euro gleichmäßig sinken (sog. Entzugsrate oder Transferentzugsrate). Die Nettoeffekte lassen sich aber ohne einen konkreten Entwurf nicht beziffern.
Statistik: Erwerbstätige ELB nach Beschäftigungsform
Die folgende Tabelle zeigt Größenordnung und Anteile der erwerbstätigen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach Beschäftigungsform. Basis: bundesweite Angaben im Produkt „Grundsicherung für Arbeitsuchende in Zahlen“, Stand Juli 2025.
| Merkmal | Personen | Anteil an allen ELB | Anteil an erwerbstätigen ELB |
|---|---|---|---|
| Erwerbsfähige Leistungsberechtigte (gesamt) | 4.017.822 | 100,0 % | – |
| Erwerbstätige ELB (gesamt) | 814.463 | 20,3 % | 100,0 % |
| davon: in abhängiger Erwerbstätigkeit | 754.293 | 18,8 % | 92,6 % |
| — sozialversicherungspflichtig beschäftigt | 409.613 | 10,2 % | 50,3 % |
| —— davon Vollzeit | 82.412 | 2,1 % | 10,1 % |
| —— davon Teilzeit | 252.419 | 6,3 % | 31,0 % |
| —— Auszubildende | 75.095 | 1,9 % | 9,2 % |
| — ausschließlich geringfügig beschäftigt | 271.092 | 6,7 % | 33,3 % |
| — ohne Beschäftigungsmeldung | 73.588 | 1,8 % | 9,0 % |
| davon: in selbständiger Erwerbstätigkeit | 64.015 | 1,6 % | 7,9 % |
| Quelle: Bundesagentur für Arbeit – „Grundsicherung für Arbeitsuchende in Zahlen“, Ausgabe Juli 2025 – Monat April 2025, abgerufen 21.11.2025 | |||
Warum diese Reform jetzt auf dem Tisch liegt
Die heutige Staffel führt zu stark schwankenden Grenzbelastungen und kaum durchschaubaren Effekten. An manchen Schnittstellen verpufft Mehrarbeit nahezu. Forschung und Beratung empfehlen seit Längerem, Entzugsraten zu glätten und Systeme zu bündeln, damit jede Stunde messbar mehr Geld bringt. Der Beirat greift diese Linie auf und drängt auf eine einheitliche Grundsicherung mit klarer Reihenfolge beim Abschmelzen der Teilleistungen.
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Politischer Stand
Kein Regierungsentwurf zur neuen Einkommensanrechnung. Die Sozialstaatskommission arbeitet an Empfehlungen. Ein Starttermin ab 2026 ist möglich, aber nicht beschlossen.
Politischer Fahrplan
Die Sozialstaatskommission arbeitet seit September. Sie will Ende 2025 Ergebnisse vorlegen. Erst danach könnten Ressorts an Gesetzentwürfen arbeiten. Realistisch ist eine Umsetzung ab 2026 – frühestens. Bis dahin gilt unverändert das geltende Recht mit den bestehenden Freibeträgen. Offizielle Hinweise des BMAS und die Gesetzesnorm sind eindeutig.
Noch ändert sich nichts
Kurzfristig ändert sich erst einmal nichts, da es zunächst nur ein Vorschlag des Beirats ist – das Bundesarbeitsministerium wird die Berechnungen aber prüfen. Mittelfristig ist mit einer heftigen Debatte zu rechnen, denn ein Systemwechsel hätte klare Verlierer im Bereich knapp über der Minijobgrenze, wenn die Bündelung der Leistungen nicht zeitgleich greift. Fachlich spricht viel für die Vereinfachung. Sozialpolitisch wird entscheidend sein, ob der Staat gleichzeitig Übergänge fördert, Qualifizierung finanziert und harte Einschnitte für Geringverdiener verhindert.


