Jahrelang stand die Frau in der Küche eines Lokals, ließ sich den Lohn bar auszahlen – und gab diese Einnahmen nicht an. So kassierte sie gemeinsam mit ihrem Mann weiter Bürgergeld, bis ein Zufallsfund die Schwarzarbeit auffliegen ließ. Nun hat das Landessozialgericht am 16.07.2025 bestätigt: Das Paar muss dem Jobcenter über 18.000 € zurückzahlen.
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Einkommen kleingerechnet
Der Fall: Im Rahmen der SGB II Antragstellung reichte das aus Kasachstan stammende Ehepaar erstmals im Jahr 2005 eine Lohnbescheinigung über 400 € monatlich ein. 2006 bestätigte die Arbeitgeberin nur noch 150 € Arbeitslohn, kurz darauf exakt 100 € – ein Freibetrag, der auch damals vollständig anrechnungsfrei blieb.
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Ab August 2007 erscheint in jedem Weiterbewilligungsantrag dann entweder ein angekreuztes „kein Einkommen“ oder eine komplett durchgestrichene Einkommensspalte. Nach Angaben der Kläger übernahm ihre Tochter wegen der Sprachbarriere das Ausfüllen der Formulare. Die Eltern unterschrieben jedoch jedes Mal selbst – inklusive der Belehrung, dass jede Einkommensänderung unverzüglich mitzuteilen ist. Mit der dauerhaften Angabe „kein Einkommen“ erklärten sie, dass die Frau keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehe.
Im Dezember 2007 veröffentlichte eine Regionalzeitung ein Foto, das die Frau mitten in der Küche des Restaurants bei der Arbeit zeigt – nur wenige Wochen, nachdem sie im Folgeantrag „kein Einkommen“ bestätigt hatte. Das Jobcenter wurde darauf aufmerksam und forderte eine aktuelle Lohnbescheinigung. Die Restaurantinhaberin bestätigte daraufhin erneut lediglich 100 € Monatslohn. Mangels weiterer Belege legte das Amt den Vorgang vorerst zu den Akten.
Zollrazzia bringt Schwarzarbeit ans Licht
Im Frühjahr 2014 durchsuchte das Hauptzollamt Oldenburg die Privat- und Geschäftsräume der Restaurantinhaberin wegen des Verdachts auf systematische Schwarzlohnzahlungen. Die Ermittler suchten nicht gezielt nach Unterlagen zur Klägerin, sie überprüften das gesamte Lohngefüge des Betriebs. Bei dieser Razzia stießen sie dann auf handschriftliche Monatslisten, in denen für mehrere Mitarbeiter – darunter in der Spalte „A.“ die spätere Klägerin – Barzahlungen zwischen 55 € und 1.322 € vermerkt waren. Die Aufzeichnungen reichten rückwirkend bis September 2007 und dokumentierten damit den Zeitraum, in dem das Ehepaar beim Jobcenter „kein Einkommen“ bestätigt hatte.
Nach Auswertung der Beweismittel leitete der Zoll die kompletten Unterlagen am 15. Januar 2016 an das Jobcenter weiter. Parallel zog die Deutsche Rentenversicherung die Restaurantbetreiberin für nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von knapp 80.000 € zur Rechenschaft – ein Verfahren, das zwar separat lief, aber die Echtheit der Listen zusätzlich untermauerte.
Jobcenter reagiert konsequent
Im März 2016 hob das Jobcenter des Landkreises Leer nach Anhörung des Ehepaars sämtliche Bewilligungen für Oktober 2007 bis Juli 2013 teilweise auf. Grundlage waren die beim Zoll beschlagnahmten Lohnlisten sowie eine ergänzende Erklärung der Arbeitgeberin, die deutlich höhere – verschwiegen gebliebene – Bargeldzahlungen belegten.
Kein Vertrauensschutz: § 45 Abs. 2 SGB X schützt Leistungsempfänger eigentlich vor rückwirkenden Aufhebungen, sofern sie auf die Rechtmäßigkeit der Bescheide vertrauen durften. Dieser Schutz entfällt aber, wenn in „wesentlicher Beziehung“ falsche oder unvollständige Angaben gemacht werden oder grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Darauf stützte sich das Jobcenter: Die jahrelange Nichtangabe des tatsächlichen Einkommens schließe jeden Vertrauensschutz aus.
Gegen die Aufhebungs‑ und Erstattungsbescheide legte das Ehepaar fristgerecht Widerspruch ein. Bei der anschließenden Prüfung korrigierte das Jobcenter Rechenfehler, etwa doppelt berücksichtigte Monatsbeträge, und senkte die Forderung von rund 26.000 € auf 18.376 €. Doch auch mit der reduzierten Forderung wollten sich die Kläger nicht abfinden. Im September 2017 reichten sie Klage beim Sozialgericht Aurich ein.
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Freispruch im Strafverfahren
Parallel zum sozialrechtlichen Streit mit dem Jobcenter startete die Staatsanwaltschaft Aurich im Frühjahr 2018 ein Strafverfahren wegen Leistungsbetrugs. Die Ermittler warfen dem Ehepaar vor, durch gezieltes Verschweigen des Schwarzlohns unrechtmäßig Bürgergeld kassiert zu haben. Vor dem Landgericht Aurich galt jedoch das strengere strafrechtliche Beweismaß – die Schuld musste lückenlos bewiesen sein. Da die Restaurantinhaberin ihr Zeugnisverweigerungsrecht nutzte, ließ sich der exakte Zahlungsverlauf nicht „ohne jeden Zweifel“ nachweisen. Im Februar 2021 endete daher das Sozialbetrug-Verfahren vor dem Landgericht Aurich mit einem Freispruch.
Für das laufende Verfahren vor dem Sozialgericht hatte dieser Ausgang keine durchgreifende Wirkung: Dort genügt bereits die „überwiegende Wahrscheinlichkeit“, weshalb die Frage der Rückzahlung weiterhin offenblieb.
Sozialgericht kippt Jobcenter Rückforderung
Das Sozialgericht Aurich (S 55 AS 617/17) verhandelte die Klage im Juni 2023 und hob die Aufhebungs‑ und Erstattungsbescheide auf. Die Richter bezweifelten, dass die in den Zolllisten verwendete Spalte „A.“ eindeutig der Klägerin zugeordnet werden könne, und hielten es für möglich, dass die Bargeldbeträge anderen Beschäftigten zuzurechnen seien. Auch die von der Frau vorgelegten Reisepassstempel – sie habe sich im streitgegenständlichen Zeitraum längere Zeit bei Verwandten in Kasachstan aufgehalten – ließen das Gericht an einer durchgehenden Tätigkeit zweifeln. Ergebnis: Die Rückforderung war vorerst vom Tisch.
Landessozialgericht kassiert das Urteil
Das Jobcenter akzeptierte diese Entscheidung nicht und legte Berufung ein. Im Juni und Juli 2025 verhandelte der 13. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen‑Bremen die Sache. Dort erschien auch die Restaurantinhaberin, deren eigenes Steuerverfahren inzwischen rechtskräftig abgeschlossen war. Sie legte reumütig offen, dass alle 100‑Euro‑Bescheinigungen „natürlich falsch“ gewesen seien, weil tatsächlich deutlich höhere Barlöhne gezahlt wurden.
Mit dieser Aussage und den Zolllisten sah das LSG den Sachverhalt als erwiesen an: „steht zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin nicht lediglich 100 € Monatslohn erzielte.“ Den Einwand, die Tochter habe wegen der Sprachbarriere alle Formulare ausgefüllt und die Eltern hätten „blind“ unterschrieben, ließ der Senat nicht gelten: „Das blinde Unterschreiben eines von einer dritten Person ausgefüllten Antrags ohne vorherige Prüfung stellt zweifellos eine besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung dar.“ (L 13 AS 152/23) Damit entfalle jeder Vertrauensschutz.
Das Urteil des SG Aurich wird aufgehoben, die Rückforderung bleibt bestehen: 9.188,49 € für die Frau und 9.187,69 € für ihren Ehemann – zusammen 18.376,18 €. Eine Revision ließ das LSG nicht zu, das Urteil ist rechtskräftig.


