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Reformplan: Es braucht mehr Bürgergeld-Empfänger

Jobcenter-Eingang mit Drehtüre

Bei „Mitreden! Live vor Ort“, dem Diskussionsformat der ARD‑Tagesschau, hat Arbeitsmarktforscher Enzo Weber seine wohl provokanteste Forderung erneuert: Um den Sozialstaat grundlegend zu reformieren, müsse die Zahl der Bürgergeld‑Bezieher erst einmal steigen.

Provokante Ansage auf der Bühne

Weber saß in der Lübecker Kulturwerft Gollan neben Schleswig‑Holsteins Arbeitsminister Claus Ruhe Madsen und Sozialaktivistin Helena Steinhaus. Vor rund 120 Zuschauern stellte er die These auf, dass ein größerer Kreis von Anspruchs­berechtigten die Voraussetzung für „eine neue Grundsicherung aus einer Hand“ sei. Für Weber ist das „der einzige Weg, Komplexität abzubauen und zugleich Arbeit wieder attraktiv zu machen“.

Bürgergeld darf keine Wahlleistung sein

Was genau fordert Weber?

In einem begleitenden LinkedIn‑Beitrag schrieb er: „Wir brauchen mehr #Bürgergeld‑Empfänger! Klingt absurd? Ja, aber wie wäre es damit: Sozialleistungen aus einer Hand, mit transparenten Erwerbsanreizen und aktiver arbeitsmarktpolitischer Unterstützung, hunderttausende zusätzliche Jobs.“

Sein Konzept bündelt Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag in einem integrierten System. Ein durchgängiger Selbstbehalt von 30 Prozent soll sicherstellen, dass jeder zusätzliche Euro Einkommen auch spürbar im Portemonnaie landet. Damit würden die heutigen Sprungstellen verschwinden, an denen höhere Erwerbs­einkommen fast vollständig angerechnet werden.

„Aus vielen mach eine“

Gemeinsam mit IAB‑Kollegin Kerstin Bruckmeier hat Weber den Reformvorschlag in der Fachzeitschrift Wirtschaftsdienst untermauert. Dort heißt es: „Ein Nebeneinander zahlreicher Sozialleistungen, umständliche Schnittstellen, unklare Zuständigkeiten, hohe Komplexität, überbordende Bürokratie“ verhindere wirksame Hilfe und bremse Erwerbs­anreize.

Die Autoren verweisen zudem auf Simulations­rechnungen: Ein konstant 30‑prozentiger Selbstbehalt könnte „zusätzliche Erwerbstätigkeit im Bereich von sechsstelligen Vollzeitäquivalenten“ schaffen.

Warum mehr Empfänger ein Fortschritt sein soll

Weber argumentiert, dass bislang rund ein Drittel der Anspruchs­berechtigten ihre Leistungen gar nicht beantragt. Erst wenn alle Berechtigten Leistungen beziehen, werde deutlich, wie viele Menschen tatsächlich ergänzende Hilfe brauchen – und wie groß das Potenzial für passgenaue Arbeits‑ und Qualifizierungs­angebote ist. „Alle Register ziehen zum Abbau der #Arbeitslosigkeit!“ fordert er in seinem Post.

Gleichzeitig betont Weber, dass ein integriertes System die Jobcenter stärkt: Beratung, Vermittlung und Qualifizierung könnten „durchgängig aktive Unterstützung“ leisten, statt wie heute nur für einen Teil der Haushalte zuständig zu sein.

Bürgergeld Reform für Herbst 2025 angekündigt

Nächste Schritte

Ob und wann die Politik den Ansatz aufgreift, ist offen. Doch Webers Auftritt im ARD‑Forum hat die Diskussion verschoben: Weg von der Frage, wie viele Bürgergeld‑Empfänger es geben sollte, hin zu der Frage, warum das Leistungs­system trotz steigender Beschäftigung immer wieder neue Anspruchs­gruppen hervorbringt.

Mit seiner Forderung nach „mehr Bürgergeld‑Empfängern“ richtet Weber den Blick auf die Strukturen selbst. Erst wenn diese neu geordnet seien, so sein Fazit, könne Deutschland einen Sozialstaat schaffen, der bürokratiearm ist, Anreize setzt – und Beschäftigung tatsächlich belohnt.