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Pflegegrad 1 auf der Kippe: Sparidee zulasten Bedürftiger

Rentnerin mit Krückstock mit Haushaltshilfe im Haus

Die Bundesregierung prüft als Sparmaßnahme, den Pflegegrad 1 zu streichen. Betroffen wären Hunderttausende Menschen mit geringen Beeinträchtigungen, die heute vor allem niedrigschwellige Hilfen und Zuschüsse erhalten. Im Kern geht es um Geld: Die Pflegeversicherung steht finanziell unter Druck, gleichzeitig wächst die Zahl der Pflegebedürftigen weiter.

Worum es bei Pflegegrad 1 geht

Pflegegrad 1 erfasst Personen mit leichten Einschränkungen der Selbstständigkeit. Es gibt kein Pflegegeld und keine Pflegesachleistungen. Die Leistungen zielen auf frühe Unterstützung, damit Alltagskompetenzen stabil bleiben. Dazu zählen vor allem der monatliche Entlastungsbetrag, Pflegeberatung, Pflegekurse, Pflegehilfsmittel sowie Zuschüsse zur Wohnraumanpassung. Seit 2017 wurde der Kreis der Anspruchsberechtigten bewusst erweitert, um Pflegebedürftigkeit hinauszuzögern und Angehörige früh zu entlasten.

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Wie viele wären betroffen

Zum 31. Dezember 2024 hatten rund 863.700 Versicherte den Pflegegrad 1. Das entspricht gut 15 Prozent aller Pflegebedürftigen in der sozialen Pflegeversicherung. Insgesamt wächst die Gruppe der Pflegebedürftigen stark: Ende 2023 meldete die amtliche Statistik knapp 5,7 Millionen Menschen mit Pflegebedarf. Beides zeigt die Dimension einer möglichen Streichung.

Welche Leistungen stehen derzeit im Pflegegrad 1 zu

Seit 1. Januar 2025 wurden zahlreiche Beträge um 4,5 Prozent angehoben. Die wichtigsten Werte im Vergleich:

Leistung (PG 1)20242025
Entlastungsbetrag pro Monat125 €131 €
Zuschuss im Pflegeheim pro Monat125 €131 €
Pflegehilfsmittel zum Verbrauch/Monat40 €42 €
Wohnumfeldverbessernde Maßnahmen (max.)4.000 €4.180 €

Dazu kommen Pflegeberatung, häusliche Beratungseinsätze, Pflegekurse für Angehörige, technische Hilfsmittel sowie in ambulanten Settings die Möglichkeit, den Entlastungsbetrag ausnahmsweise auch für körperbezogene Pflege durch einen Pflegedienst einzusetzen.

Warum der Ruf nach Einsparungen lauter wird

Die Pflegeversicherung rutscht in eine strukturelle Schieflage. Prüfer warnen vor Milliardenlücken bis zum Ende des Jahrzehnts. Parallel diskutieren Verbände und Teile der Politik über Stellschrauben, um Beiträge stabil zu halten. Vorschläge reichen von Karenzzeiten bis hin zur Konzentration auf höhere Pflegegrade. In diesem Kontext taucht die Idee auf, Pflegegrad 1 zu streichen, weil dort die Leistungen vergleichsweise niedrig sind und vor allem präventiven Charakter haben.

Ein Rechenblick: Würden alle Anspruchsberechtigten den Entlastungsbetrag voll ausschöpfen, ergäbe das rein rechnerisch rund 1,36 Milliarden Euro pro Jahr (131 Euro × 12 Monate × ca. 863.700 Personen). In der Praxis bleibt ein Teil der Mittel ungenutzt. Einsparungen wären also geringer, aber spürbar. Kurzfristig könnte das die Kasse entlasten.

Mögliche Folgen für Betroffene und Systeme

Aus Sicht der Erwerbslosenhilfe und der Sozialberatung birgt die Streichung Risiken:

  • Wegfall früher Hilfen: Niedrigschwellige Unterstützungen stabilisieren Alltagsfähigkeiten. Wenn sie entfallen, drohen schneller steigende Pflegegrade – und später deutlich höhere Kosten.
  • Mehr Belastung für Angehörige: Ohne Entlastungsbetrag werden Wege zur stundenweisen Unterstützung teurer. Pflegekurse und Beratung blieben formal bestehen, doch der finanzielle Rückenwind fiele weg.
  • Kommunale Kostenverschiebung: Wer Leistungen nicht mehr bezahlen kann, weicht auf Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch aus. Das verlagert Ausgaben von der Pflegeversicherung in die kommunalen Haushalte.
  • Ungleichheit beim Zugang: Menschen mit wenig Geld verzichten überproportional auf private Zukäufe. Das erhöht das Risiko von Folgeproblemen, bis hin zu stationären Eintritten.

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Aus fachlicher Sicht wäre es konsequenter, Fehlanreize anzugehen und die Nutzung bestehender Mittel zu vereinfachen, statt einen kompletten Pflegegrad zu streichen. Denkbar wären ein automatisierter Abruf des Entlastungsbetrags über zugelassene Anbieter, eine zielgenauere Beratung bei der Begutachtung und die Stärkung präventiver Hausbesuche.

Politische Lage in der Koalition

Innerhalb der Koalition ist die Bereitschaft zu Leistungskürzungen umstritten. Sozialverbände und Teile der Regierungsfraktionen signalisieren Widerstand. Die Diskussion ist ein Signal, dass die große Pflegereform konkreter wird – aber auch, dass der Spardruck hoch ist. Ob Pflegegrad 1 tatsächlich fällt, entscheiden die anstehenden Eckpunkte und das Gesetzgebungsverfahren.