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Miete & Bürgergeld: Zu teure Sozialwohnung gibt es nicht

Richterhammer vor Richter, Symbol für Gerichtsurteil zu Bürgergeld-Miete.

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat klargestellt: Sozialwohnungen dürfen für Bürgergeld-Bedürftige nicht als unangemessen gelten, auch wenn die Miete über den üblichen Richtwerten liegen. Dieses Urteil verpflichtet das Jobcenter, die volle Miete zu übernehmen, besonders in Regionen mit angespanntem Wohnungsmarkt wie z.B. Berlin.

Jahrelanger Streit beigelegt: Jobcenter muss Miete nachzahlen

Die ursprüngliche Klage und Entscheidung vor dem Sozialgericht in Berlin (S 186 AS 773/16) stammt aus August 2017 und bezog sich auf den Zeitraum 2015 / 2016 – das Berufungsverfahren zog sich allerdings über Jahre hin, bis das Landessozialgericht im März 2023 zu Gunsten der Hilfebedürftigen entschied (L 32 AS 1888/17) und das Jobcenter zur Kostenübernahme verpflichtete.

Bürgergeld & Miete: Jobcenter zahlt systematisch 116 € zu wenig

Der Fall: Das Jobcenter in Berlin weigerte sich, die volle Miete für die Wohnung einer Bürgergeld-Empfängerin zu übernehmen. Der Streit entzündete sich an einer Differenz von 160 Euro: Die Klägerin zahlte 640 Euro (tatsächliche) Miete, das Jobcenter wollte aber nur 480 Euro als „angemessen“ anerkennen. Dabei berief sich das Amt auf die Ausführungsvorschriften der zuständigen Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Grundlage der Vorschrift und damit der Mietobergrenze: Die durchschnittlichen Mieten einfacher Wohnungen gemäß Mietspiegel.

Verfügbarkeit einer Wohnung schlägt Richtwert

Das LSG Berlin-Brandenburg monierte das Vorgehen des Jobcenters als unzulässig. Berücksichtigt werde nur der durchschnittliche Fall der Angemessenheit. Die obere Grenze bliebe dabei außen vor. Wichtiger aber ist die Einschätzung, dass einfache Wohnungen, auf die das Jobcenter Bürgergeld-Bedürftige verweise, „tatsächlich verfügbar, also anmietbar sind“. Das werde durch das Konzept in Berlin nicht gewährleistet.

Dazu griffen die Richter auf die Wohnraumstatistik der Senatsverwaltung aus dem Jahr 2019 zurück. Zu der Zeit mussten 76.000 Bürgergeldhaushalte Teile der Miete selbst bestreiten, weil die Miete über den vom Jobcenter genutzten Grenzwerten lagen. Hinzu käme in Berlin eine Angebotslücke von 345.000 Single-Wohnungen.

So hoch darf die Miete mit Bürgergeld sein

Auch Wohngeld-Tabelle unbrauchbar: LSG findet keinen Grenzwert

In einer solch angespannten Lage sei es auch dem Landessozialgericht nicht möglich, einen Grenzwert festzulegen. Auch die Wohngeldtabelle mit einem Aufschlag von zehn Prozent sei für Berliner Verhältnisse ungeeignet. Denn: Selbst nach diesen Maßstäben wären viele Sozialwohnungen unangemessen teuer.

Volle Kostenübernahme durch das Jobcenter

Gemäß der Absicht des Gesetzgebers, dass Sozialwohnungen für Hilfebedürftige, und damit auch für Bürgergeld-Bedürftige, errichtet und vorgehalten werden sollen, liege der Quadratmeterpreis der Wohnung der Klägerin unterhalb des Durchschnitts der zulässigen Mieten. Daher müsse das Jobcenter die Kosten in voller Höhe übernehmen.

Hier greift der zweite Leitsatz des Urteils: „Wohnraum, der nach den Vorgaben des sozialen Wohnungsbaus und des WoGG (Wohngeldgesetz) angemessen ist, kann jedenfalls in angespannten Wohnungsmärkten nicht grundsicherungsrechtlich unangemessen sein.“ Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung des Urteils ist eine Revision vor dem Bundessozialgericht zulässig.

Staatlich gefördert kann nicht „unangemessen teuer“ sein

Unterm Strich ist dieses Urteil ein Donnerschlag für alle Jobcenter, die mit veralteten Mietspiegel-Werten auf dem hart umkämpften Wohnungsmarkt operieren. Die Richter stellen klar: Eine Wohnung, die der Staat selbst als „sozial“ deklariert, kann nicht gleichzeitig für den Bürgergeld-Empfänger als „zu teuer“ eingestuft werden. Zwar ist das letzte Wort des Bundessozialgerichts noch nicht gesprochen, doch die grundsätzliche Bedeutung dieses Richterspruchs ist jetzt immens. Er zwingt die Jobcenter, die Realität angespannter Wohnungsmärkte anzuerkennen, anstatt sich hinter theoretischen Rechenmodellen zu verstecken. Es geht um eine simple Logik: Was politisch gewollt und staatlich subventioniert ist, darf Bürgergeld-Beziehern nicht verwehrt bleiben.