Wenn zwei Sozialleistungsträger sich über ihre örtliche Zuständigkeit streiten, dürfen sie den Antrag eines Betroffenen nicht einfach liegenlassen – sie müssen ihn durch einen förmlichen Bescheid erledigen, damit gerichtlicher Rechtsschutz möglich bleibt. Das hat das Sozialgericht Lüneburg am 28.05.2025 mit Gerichtsbescheid (Az.: S 38 SO 10/25) entschieden.
Drei Anträge, aber fast drei Jahre Schweigen
Der Kläger, geboren am 31.08.2004, bezieht seit seiner Kindheit Eingliederungshilfe und Grundsicherung in einer stationären Einrichtung. Bereits am 14.07.2022 beantragte seine Vormundin beim Kreis Herzogtum Lauenburg die Weiterbewilligung der stationären Hilfemaßnahmen ab Volljährigkeit, am 25.07.2022 bestätigte der Kläger das Begehren selbst und am 29.06.2023 wiederholte es seine rechtliche Betreuerin nochmals. Trotzdem blieb die Behörde untätig. Kreis Herzogtum Lauenburg verwies lediglich auf einen Zuständigkeitskonflikt mit dem Landkreis Ludwigslust-Parchim und behauptete eine „Sperrwirkung“ des § 14 SGB IX. Bis zur Klageerhebung erging kein Bescheid – damit fehlte jede Widerspruchsmöglichkeit.
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Gericht: Zuständigkeitsstreit rechtfertigt kein Nichtstun
„Ein Zuständigkeitsstreit zwischen Leistungsträgern ermöglicht es den Behörden nicht, untätig zu bleiben.“
Die 38. Kammer des Sozialgerichts Lüneburg stellte klar, dass mit Eingang eines hinreichend bestimmten Begehrens – in diesem Fall der Weiterbewilligungsantrag – nach § 18 Nr. 1 SGB X ein Verwaltungsverfahren eröffnet ist, das gemäß §§ 8, 31 SGB X mit einem Verwaltungsakt enden muss. Hält sich die angegangene Behörde für unzuständig, darf sie nicht schweigen, sondern muss entweder einen Negativbescheid erlassen oder den Antrag unverzüglich weiterleiten. Das bloße Abwarten verletzt den Untersuchungsgrundsatz des § 20 SGB X und das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG, in dem es heißt:
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
Da die Sechs-Monats-Frist zur Untätigkeitsklage des § 88 SGG längst verstrichen war, sah das Gericht keinen „zureichenden Grund“ für die Untätigkeit und verurteilte den Kreis, den Antrag „unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts“ zu bescheiden. Die Beklagte trägt die Verfahrenskosten.
Bedeutung für Praxis und Betroffene
Für Leistungsberechtigte setzt die Entscheidung eine klare Frist: Liegt nach Ablauf der gesetzlichen Fristen kein Bescheid vor, können Sie sofort klagen – ein laufender Zuständigkeitsstreit ist kein Hindernis.
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Beratungsstellen und Betreuer gewinnen ein schlagkräftiges Argument, um Verwaltungsträger zur fristgerechten Bescheiderteilung oder Weiterleitung zu bewegen. Sozialverwaltungen sollten interne Fristenkontrollen einrichten und die zwei- bzw. sechs-Monats-Grenzen fest verankern. Andernfalls riskieren sie Kostenlast und deutliche Gerichtsbescheide wie den aus Lüneburg – und die Klärung wird auf dem Nacken der Betroffenen ausgetragen, die dringend auf die beantragten Leistungen angewiesen sind.