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Klingbeil distanziert sich vom Bürgergeld-Kurs: Mehr für die Fleißigen!

SPD-Politiker Lars Klingbeil am Rednerpult auf einem SPD-Parteitag, vor rotem Hintergrund mit dem Slogan „Soziale Politik für Dich.“

SPD-Chef und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil hat im ZDF-Sommerinterview vom 17. August eingeräumt, die Partei habe sich in den vergangenen Monaten zu stark auf das Bürgergeld konzentriert – und dabei jene Menschen zu wenig berücksichtigt, „die morgens fleißig aufstehen“. Gemeint sind Berufsgruppen wie Pflegekräfte, Verkäuferinnen oder Handwerker – also Menschen, die täglich arbeiten und sich zunehmend von der Politik übersehen fühlen.

Diese Formulierung sorgt für Irritationen – nicht nur, weil sie eine neue Schwerpunktsetzung signalisiert, sondern weil sie eine künstliche Trennlinie aufmacht zwischen Erwerbstätigen und Bürgergeld-Empfängern. Dabei war es gerade die SPD, die das Bürgergeld als moderne Grundsicherung eingeführt hat. Durch Klingbeils Wortwahl entsteht jedoch der Eindruck, als stünden Leistung und soziale Unterstützung in einem Spannungsverhältnis. Genau das kritisieren viele Beobachter als gefährliche Symbolik.

Klingbeils Bürgergeld-Kritik sorgt für Irritation

Besonders deutlich wird die neue Tonlage in einer Passage des Interviews, in der Klingbeil wörtlich sagt, dass der Eindruck erweckt würde, man habe sich „zu sehr um das Bürgergeld und zu wenig um die Menschen gekümmert, die morgens fleißig aufstehen, sich kümmern, sich an die Regeln halten, Kinder haben, in den Vereinen sind und dafür sorgen, dass dieses Land läuft“. Die Gegenüberstellung ist nicht nur unsensibel – sie läuft dem sozialpolitischen Selbstverständnis der SPD zuwider. Denn sie impliziert, dass Bürgergeld-Empfänger all diese Eigenschaften nicht hätten – als seien sie nicht fleißig, nicht regelkonform, nicht gesellschaftlich engagiert. Damit bedient Klingbeil ausgerechnet jenes Narrativ, das die SPD jahrelang bekämpft hat: die pauschale Abwertung von Menschen in Grundsicherung. Wer soziale Gerechtigkeit ernst meint, darf Bedürftige nicht rhetorisch abspalten – sondern muss anerkennen, dass viele trotz harter Lebensumstände versuchen, ihren Beitrag zu leisten. Eine solidarische Politik lebt davon, gerade diese Realitäten sichtbar zu machen – nicht davon, sie indirekt zu delegitimieren.

Ein genauer Blick auf die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zeigt, dass weniger als die Hälfte der erwerbsfähigen Bürgergeld-Empfänger im April 2025 tatsächlich arbeitslos war. Die Mehrheit befand sich in Ausbildung, Pflegeverantwortung, gesundheitlicher Einschränkung oder war bereits ungefördert erwerbstätig. Das folgende Diagramm veranschaulicht, wie vielfältig die Lebenslagen hinter dem Bürgergeld-Bezug sind – und warum pauschale Urteile fehl am Platz sind.

Kritik an Bürgergeld & Co. – Mehr arbeiten lohnt nicht

Wortwahl mit politischer Sprengkraft

Gerade als Vizekanzler und Vorsitzender der Regierungspartei wiegt eine solche Wortwahl doppelt schwer – zumal sie ausgerechnet jene gegen einander stellt, die am meisten auf soziale Verlässlichkeit angewiesen sind.

Vor allem in sozialen Netzwerken hagelte es Kritik. Lesermeinungen auf Nachrichtenseiten sprechen von einem Bruch mit der traditionellen Arbeiterklientel der SPD. Einige werfen Klingbeil vor, in der Tonlage eher wie ein Politiker der Linken oder AfD zu argumentieren als wie der Vorsitzende einer Volkspartei. Auch politische Gegner schalten sich ein: Aus Reihen der Union und der AfD wird Klingbeils Aussage als späte Einsicht gewertet – und als Beleg dafür, dass das Bürgergeld falsche Signale gesetzt habe.

Gleichzeitig gibt es aber auch Stimmen, die Klingbeils Vorstoß verteidigen. Innerhalb der SPD gilt die Kritik an der einseitigen Bürgergeld-Kommunikation als überfällig. Gerade in den Kommunen, wo viele Funktionäre mit realen Sorgen der Bevölkerung konfrontiert sind, wächst der Druck, den Fokus wieder stärker auf Arbeit, Löhne und soziale Balance zu richten. Klingbeil selbst macht deutlich, dass Gerechtigkeit künftig wieder umfassender verstanden werden müsse – nicht nur im Sinne der Hilfe für Bedürftige, sondern auch mit Blick auf die arbeitende Mitte.

Kurswechsel mit strategischer Stoßrichtung

Nachdem die SPD bei der Bundestagswahl 2025 mit 16,4 Prozent eine historische Klatsche kassiert hatte – ein Minus von 9,3 Punkten im Vergleich zur Wahl 2021 – und sich seither in den Umfragen größtenteils weiter verschlechtert hat, wirkt Klingbeils Kurswechsel wie der Versuch, die Partei inhaltlich neu auszurichten und verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Der SPD-Chef betont, man habe zu wenig über Leistung, Arbeit und Steuern gesprochen – Themen, die vielen Bürgern angesichts steigender Lebenshaltungskosten besonders wichtig sind. Dass dieser Fokus nun öffentlich hervorgehoben wird, lässt sich kaum als Zufall deuten. Vielmehr scheint es ein gezielter Kurswechsel zu sein, um das Profil der SPD zu schärfen und wahlkämpferisch anschlussfähiger zu werden.

Dabei geht es auch um die politische Großwetterlage: Klingbeil hat bereits in früheren Interviews betont, dass mehr soziale Gerechtigkeit auch ein Mittel sei, um den Nährboden für die AfD auszutrocknen. Die Zustimmung zur AfD wachse dort, wo sich Menschen abgehängt fühlten. Gerechtigkeit sei deshalb nicht nur ein moralisches Ziel, sondern auch ein strategischer Hebel gegen den Rechtspopulismus. Vor diesem Hintergrund lässt sich seine Bürgergeld-Kritik auch als Teil einer größeren Linie lesen – es geht nicht nur um Inhalte, sondern auch um politische Schadensbegrenzung.

Bewusst oder unbewusst entsteht bei einigen der Eindruck, Klingbeil betreibe im Kern Politik nicht für die Bürger, sondern gegen die AfD. Wer soziale Themen vorrangig taktisch einordnet, riskiert jedoch, das Vertrauen gerade jener Menschen zu verlieren, die sich ohnehin nicht mehr vertreten fühlen.

Hinter seiner Rhetorik steht auch ein klarer Haushaltszwang: Eine Finanzierungslücke von rund 172 Milliarden Euro zwingt die Regierung zu harten Einsparungen. Klingbeil kündigte eine „enorme Kraftanstrengung“ an und forderte alle Ministerien zu Sparvorschlägen auf. Steuererhöhungen für hohe Einkommen und Vermögen wurden von ihm ausdrücklich nicht ausgeschlossen – sehr zum Unmut der Union, die auf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag verweist, wonach Steuererhöhungen ausgeschlossen seien.

Studie zeigt: Bürgergeld reicht nicht für das Nötigste

Im selben Interview äußerte sich Klingbeil auch zur Medienlandschaft – und warnte vor den Folgen einer veränderten Mediennutzung. Heute, so sagte er, informierten sich viele Menschen nicht mehr nur über klassische Sender wie ARD und ZDF, sondern zunehmend über das Internet – und stießen dort auf Akteure, „die versuchen, Hass und Hetze zu verbreiten“. Zwar benannte er keine konkreten Plattformen, doch durch die bewusste Gegenüberstellung entsteht der Eindruck, als sehe er in öffentlich-rechtlichen Medien die letzten verlässlichen Instanzen demokratischer Information – während er das Netz pauschal mit Desinformation gleichsetzt. Eine Differenzierung zwischen journalistisch arbeitenden Online-Medien und radikalen Kanälen blieb aus. Kritiker könnten ihm deshalb vorwerfen, nicht den demokratischen Diskurs zu schützen, sondern ihn eng führen zu wollen.

Gerade deshalb ist die politische Verantwortung jetzt besonders hoch: Es braucht sachliche Debatten und keine vereinfachenden Narrative. Wer Bürgergeld und „fleißige Arbeit“ als Gegensätze inszeniert, schadet dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wer wirklich will, dass Arbeit sich lohnt, muss für gute Löhne, stabile Mieten und soziale Gerechtigkeit sorgen – nicht für neue Frontlinien, die sich in populären Schlagworten erschöpfen – sondern für politische Lösungen, die verbinden statt spalten.

Quellen: ZDF-Sommerinterview mit Lars Klingbeil vom 17.08.2025