In Stuttgart bezog ein 59-jähriger TV-Moderator über zwei Jahrzehnte Sozialleistungen. Zuletzt Bürgergeld. Parallel verdiente er in der Türkei sehr gutes Geld. Der Schaden für das Jobcenter Stuttgart-Süd beläuft sich auf rund 270.000 €. Wegen Verjährung war in der Anklage nur noch ein Teilbetrag von etwa 80.000 € übrig.
Miese Masche
Gegenüber dem Jobcenter gab der Mann Erwerbsunfähigkeit wegen Depressionen an. Tatsächlich stand er regelmäßig für Werbesendungen eines türkischen TV-Senders vor der Kamera. Von bis zu 500.000 € Umsatz pro Jahr ist die Rede. Die Einkünfte wurden dem Jobcenter nicht offengelegt. Stattdessen floss Geld bar und wurde über Western-Union-Transfers ins Ausland verschoben. Für angebliche Geschäftsvorgänge tauchten Scheinrechnungen mit erfundenen Firmennamen und der Adresse eines Einkaufszentrums in Istanbul auf. Produktionshelfer und Kameraleute wurden bar bezahlt. Ziel laut Ermittlern: Spuren auf deutschen Konten vermeiden und die Zuordnung zur eigenen Person erschweren.
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Aufgeflogen – warum erst jetzt?
Der über 22 Jahre betriebene Sozialbetrug flog auf, als Ermittler Scheinrechnungen, Bargeldbewegungen und Western-Union-Transfers zu einem stimmigen Bild zusammensetzten. Die Spur zu möglichem Vermögen im Ausland blieb jedoch weitgehend verschlossen. Rechtshilfeersuchen in die Türkei zogen sich hin oder blieben unbeantwortet. Das kostete Zeit und spielte der Verjährung in die Karten. Am Ende konnten nur jüngere Zeiträume noch angeklagt werden und die Anklage schrumpfte entsprechend.
Antrag auf Taschengeld
Während der Untersuchungshaft beantragte der Mann laut BILD monatlich 152 € Taschengeld. Auslandsvermögen gab er dabei nicht an. Grundsätzlich sind solche Leistungen in U-Haft zur Deckung des persönlichen Bedarfs möglich. Genau diese Konstellation sorgte hier für Kritik.
Tochter freigesprochen
Auf dem Sparkassenkonto der Tochter gingen zwischen 2019 und 2025 rund 260.000 € ein. Nach ihrer Darstellung handelte sie im Auftrag des Vaters, hob die Beträge teilweise in bar ab und leitete sie weiter. Das Gericht sah jedoch keinen Beleg dafür, dass sie den gleichzeitigen Leistungsbezug kannte. Sie wurde vom Vorwurf der Beihilfe freigesprochen.
Deal und Bewährung
Vor dem Amtsgericht Stuttgart räumte der Angeklagte sämtliche Vorwürfe ein. O-Ton: „Es stimmt alles, was mir vorgeworfen wird. Ich bitte die deutschen Behörden um Entschuldigung.“ Medienberichten zufolge kam es im Verfahren zu einer Verständigung. Das Gericht setzte die Freiheitsstrafe zur Bewährung aus. Haft bleibt ihm damit erspart. Ob und welche Auflagen die Bewährung umfasst, ging aus den Berichten nicht hervor.
Schaden fürs System
Solche Fälle untergraben das Vertrauen in Sozialleistungen. Sie liefern Schlagzeilen über Missbrauch und nähren den Generalverdacht gegen alle Leistungsbezieher. Menschen, die wirklich auf Hilfe angewiesen sind, müssen sich häufiger rechtfertigen und mit strengeren Kontrollen rechnen. Das verzerrt die Debatte, stigmatisiert Bedürftige und schadet der Akzeptanz des Systems. Genau deshalb wiegt gewerbsmäßiger Sozialbetrug besonders schwer.
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Und nun?
Strafverfahren hin oder her: Zu Unrecht gezahlte Leistungen kann das Jobcenter per Bescheid zurückfordern (§ 50 SGB X), bei Täuschung kommt die Rücknahme alter Bewilligungen nach § 45 SGB X in Betracht. Ob und wie viel Geld am Ende zurückfließt, hängt u. a. vom feststellbaren Vermögen ab – auch im Ausland.