Es wird still, wenn es ums Geld geht. Während Politik und Talkshows weiter über vermeintliche Anreize debattieren, steuert das Bürgergeld geräuschlos auf seine nächste Nullrunde zu. Hinter trockenen Formeln wie Mischindex und Fortschreibungsfaktor verbirgt sich eine Entscheidung mit Wucht: 2026 bleibt der Regelsatz voraussichtlich eingefroren, obwohl Strom, Mieten und Tickets teurer werden. Die folgenden Abschnitte zeigen, warum dies keine zufällige Rechenpanne, sondern eine politisch kalkulierte Abwertung ist – und inwiefern die IW‑Analyse unsere Warnung bestätigt.
Schon im Mai 2025 haben wir unter „Bürgergeld‑Kürzung mit Ansage – und keiner redet drüber“ anhand des Mischindex berechnet, dass der Regelsatz 2026 voraussichtlich unverändert bei 563 € bleibt. Die jetzt veröffentlichte IW‑Analyse vom 20. Juli 2025 bestätigt diese Prognose eins zu eins. Millionen Bürgergeld-Empfängern droht damit eine reale Kürzung ihrer Kaufkraft.
Unsere Berechnung vom Mai im Rückblick
Bereits am 21. Mai 2025 haben wir gezeigt, dass der berechnete Mischindex auf eine Nullrunde hinausläuft:
- Preiskomponente (70 %): ≈ 3,8 %
- Lohnkomponente (30 %): ≈ 5,1 %
- Ergebnis Mischindex: ≈ 4,1 %
Wendet man diesen Wert auf den gesetzlichen Ausgangsbetrag von 535,50 € an, erhält man rund 558 €. Da § 28a Abs. 5 SGB XII jedoch eine Unterschreitung des bisherigen Regelsatzes ausschließt, bleibt es rechtlich verbindlich bei 563 €. Eine Anhebung würde nur erfolgen, wenn der fortgeschriebene Betrag über dem bestehenden Wert liegt.
Bürgergeld Reform für Herbst 2025 angekündigt
Stille Kürzung
Was auf dem Papier nach Stabilität aussieht, ist real eine Kürzung: Die Inflation im Jahr 2025 liegt laut Bundesbank-Prognose (Harmonisierter Verbraucherpreisindex) bei rund 2,2 % – die Regelsätze bleiben dennoch gleich. Für Menschen im Bürgergeld bedeutet das einen schleichenden Kaufkraftverlust.
Grund dafür ist die politische Entscheidung, ab 2026 im Rahmen der „Neuen Grundsicherung“ auf die ergänzende Fortschreibung zu verzichten. Diese zusätzliche Anpassung auf Basis der kurzfristigen Preisentwicklung wurde 2023 mit dem Bürgergeld eingeführt, um auf Inflation schneller zu reagieren. Ihre Streichung reduziert die Dynamik der Regelsatzentwicklung deutlich – das zeigt auch die IW-Berechnung.
Anhand der Daten der Bundesbank und groben Gewichtungen nach EVS‑Referenzgruppe (unterstes Einkommensquintil) bezogen auf Lebensmittelpreise (30 %), Energiekosten (8 %) und übrige Güter- & Dienstleistungen (62 %) lässt sich der durchschnittliche, regelbedarfsrelevante Preisindex (RPI) auf 2,26 % schätzungsweise hochrechnen.
| Inflationsannahme | Rechnung | gerundeter Regelsatz (RBS1) |
|---|---|---|
| 1,0 % | 558 € × 1,010 = 563,58 € | 564 € |
| 2,2 % (Bundesbank – HICP) | 558 € × 1,022 = 570,28 € | 570 € |
| 2,3 % (RPI‑Schätzung) | 558 € × 1,018 = 570,83 € | 571 € |
Gegenüber der politisch fixierten Nullrunde von 563 € bedeutet das je nach Szenario einen Kaufkraftunterschied von +1 € bis +8 € pro Monat – klein auf den ersten Blick, aber hochrelevant für Haushalte am Existenzminimum.
Durch die ergänzende Fortschreibung würde bei einer angenommenen Inflation von nur 0,8 bis 1,0 % gerechnet, was den Regelsatz in der zweiten Berechnungsstufe von 558 € bei noch geltender Berechnungsmethode auf 563 € bis 564 € anpassen würde. Bei 2,3 % würde der Regelsatz in der RBS 1 auf 570,83 € und damit auf gerundet 571 € steigen – in diesem Fall müsste die Regierung Anpassungen vornehmen, da sich der monatliche Kaufkraftverlust auf 8 € beläuft.
Was bedeutet das für Betroffene?
Die IW-Studie selbst verweist nicht auf juristische Bewertungen. Doch bereits zuvor hatten mehrere Landessozialgerichte (z.B. L 2 AS 1358/24 B, L 2 AS 1621/24 B, L 2 AS 1643/24 B) betont, dass eine gewisse Nähe zur Preisentwicklung zwingend notwendig sei, um das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum zu wahren. Der Rückbau der Fortschreibung könnte neue Klagen nach sich ziehen, sollte die reale Versorgungslücke weiter wachsen.
Zudem wirkt sich der eingefrorene Regelsatz auch auf andere Lebensbereiche aus – etwa bei Steuerfreibeträgen oder Sozialleistungen wie Schulbedarf oder Kinderzuschlag, die sich am Regelbedarf orientieren.
Würden 800 Euro Bürgergeld reichen?
IW‑Reformvorschläge: Prognose‑Trigger als Ersatz für die Quartalsfortschreibung
Das IW belässt es nicht bei der Diagnose, sondern skizziert einen Alternativmechanismus:
- Prognose‑Basis: Maßgeblich soll der Durchschnitt anerkannter Inflationsprognosen (Consensus Forecast) für das Folgejahr sein.
- 3‑Prozent‑Trigger: Die ergänzende Fortschreibung greift demnach nur, wenn diese Prognosen über 3 % liegen – also deutlich oberhalb des EZB‑Ziels von 2 %.
- Kleinere, dafür häufigere Schritte: Weil auf Erwartungen statt auf Nachlaufdaten reagiert wird, käme es zu zeitnäheren, aber moderateren Bürgergeld Anpassungen. Überhöhungen wie 2024 und anschließende Nullrunden würden so vermieden.
Ein Rechenbeispiel des IW zeigt: Hätte man den Trigger schon 2023 angewandt, wäre der Regelsatz damals um 16 € höher ausgefallen, 2024 dagegen nur um 3 € gestiegen. Ab 2025 hätte allein die Basisfortschreibung gereicht – ohne Nullrunde.
Ob die Regierung den Vorschlag aufgreift, ist offen. Klar ist jedoch: Ohne solchen Reformschritt wird das Wechselspiel aus Über‑ und Unterkompensation wohl weitergehen.
Quellen:
- IW-Kurzbericht Nr. 61 vom 20.07.2025 – 2026: Erneute Nullrunde bei Grundsicherung wahrscheinlich, Studienautorin Dr. Stefanie Seele
- Bundesbank – Deutschland-Prognose: Wirtschaftliche Erholung kommt langsam in Gang vom 06.06.2025


