Der Vorschlag klingt nüchtern, hätte aber enorme Folgen: Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ließen sich rund zwei Milliarden Euro pro Jahr einsparen, würde die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für alle Altersgruppen auf höchstens zwölf Monate vereinheitlicht. Statt wie bisher Älteren ab 50 Jahren länger Zeit zu geben, um eine neue Stelle zu finden, würde der ALG-Anspruch auf höchstens ein Jahr begrenzt – danach bliebe nur noch der Wechsel ins niedrigere Bürgergeld. Die Debatte verschärft sich, weil die Einnahmen der Arbeitslosenversicherung stocken, während die Ausgaben wegen der schwachen Konjunktur steigen.
Inhaltsverzeichnis
Vorschlag trifft Beschäftigte jenseits der 50
Aktuell stellt § 147 Abs. 2 SGB III für Ältere eine Staffelung bereit: 15 Monate ALG I ab 50 Jahren, 18 Monate ab 55 Jahren und bis zu 24 Monate ab 58 Jahren, sofern mindestens 30 beziehungsweise 48 Monate Beiträge gezahlt wurden. Künftig gäbe es in jedem Alter höchstens zwölf Monate – ein klarer Bruch mit der jahrzehntelang politisch gewollten Besitzstandswahrung für Ältere.
Alter | ALG-Bezugsdauer (max.) | IW-Vorschlag (max.) |
---|---|---|
ab 50 Jahren | 15 Monate | 12 Monate |
ab 55 Jahren | 18 Monate | 12 Monate |
ab 58 Jahren | 24 Monate | 12 Monate |
Rechtsprechung stützt die Verlängerung
Das Bundessozialgericht hat 2022 in der Sache B 11 AL 8/21 R bestätigt, dass die differenzierte Anspruchsdauer verfassungskonform ist. Sie berücksichtige tatsächliche Benachteiligungen Älterer am Arbeitsmarkt. Eine Gesetzesänderung müsste daher politisch eindeutig gewollt sein, automatischen Anpassungsdruck gibt es nicht.
Arbeitslosengeld Sperrzeit mit Bürgergeld überbrücken
Arbeitslosenversicherung kein Sparvertrag
Die Forderung des IW, die verlängerte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I auf ein einheitliches Jahr zu verkürzen, stützt sich auf ein Kern-Argument: Die Arbeitslosenversicherung ist kein Sparvertrag. Wer jahrzehntelang Beiträge einzahlt, legt damit kein Guthaben an, sondern finanziert – vergleichbar mit der gesetzlichen Krankenversicherung – laufend einen Risikopool. Dieser Pool springt ein, wenn Arbeitslosigkeit eintritt, genauso wie die Krankenkasse zahlt, wenn jemand krank wird. Ein „Anspruch auf mehr“, weil man lange gesund – oder in diesem Fall beschäftigt – war, sieht das IW daher nicht. Diese Logik hat das IW schon 2013 vertreten und jetzt nochmals bekräftigt. Längere Leistungen ausschließlich aus Treue zur Beitragsbiografie lehnt das Institut daher ab.
2 Milliarden Euro Ersparnis
Hinter dem Vorstoß steht der angespannte Haushalt der Bundesagentur für Arbeit. 2024 lag das Defizit im Versicherungstopf bei 1,9 Milliarden Euro. Würde die verlängerte Bezugsdauer entfallen, könnten nach IW-Modellrechnung knapp 2 Milliarden Euro jährlich eingespart werden. Auf Basis der Beitragseinnahmen von 38,1 Milliarden Euro im Jahr 2024 ließe sich der Beitragssatz von 2,6 auf 2,44 % senken – rechnerisch ein Minus von 0,16 Beitragspunkten. Das Institut argumentiert: Kürzt man nicht bei den Leistungen, müsste der Satz in den kommenden Jahren sogar steigen, weil Konjunktur und Demografie die Rücklagen schrumpfen lassen.
Schnelles Abrutschen ins Bürgergeld
Kritiker halten dagegen, dass eine solche Reform die Last von den Beitragszahlern auf die älteren Arbeitslosen verschieben würde. Wer nach zwölf Monaten noch keine Stelle hat, fällt direkt auf das Bürgergeld-Niveau. Bedeutet, höchstens 563 € Regelbedarf im Monat zzgl. angemessener Wohnkosten. Das Arbeitslosengeld beträgt 60 % des pauschalierten Nettoentgelts, für Eltern mit Kind 67 %. Im Jahresmittel lag die monatliche Leistung in 2024 bei rund 1.300 € (Männer ø 1.352 €, Frauen ø 1.062 € pro Monat). Je nach Höhe des Arbeitslosengeldes können zusätzlich noch Wohngeld und Kinderzuschlag beantragt werden. Die Differenz zwischen Bürgergeld und Arbeitslosengeld ist nicht pauschal zu beziffern, kann sich aber durchaus auf mehrere hundert Euro im Monat erstrecken.
Eine Verkürzung der ALG Anspruchsdauer hätte auch direkte Folgen für die Rente. Während des Bezugs von Arbeitslosengeld zahlt die Bundesagentur für Arbeit Pflichtbeiträge in die gesetzliche Rentenversicherung ein – auf Basis von 80 % des früheren Bruttoeinkommens. Diese Zeit zählt bei den Rentenpunkten mit. Wer künftig nach spätestens zwölf Monaten ins Bürgergeld rutscht, für den entfallen diese Rentenbeiträge: Beim Bürgergeld werden keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung mehr gezahlt. Die betroffenen Jahrgänge verlieren dadurch nicht nur Einkommen, sondern sammeln auch weniger Entgeltpunkte – mit langfristigen Folgen für die spätere Altersrente.
Über 400.000 sind potenziell gefährdet
Insgesamt beläuft sich de Anteil der Arbeitslosen ab 50 Jahren im Bereich des SGB III auf über 400.000 Personen und macht einen Anteil von 36,7 % an allen Arbeitslosen (1.108.129). Im September 2025 zählte die Bundesagentur für Arbeit 112.000 Langzeitarbeitslose in der Arbeitslosenversicherung – mehr als 10 % des Gesamtbestandes. Praktisch alle sind über 50, weil erst ab diesem Alter Anspruchsdauern über zwölf Monate möglich sind. Fiele die Staffel weg, müssten diese Personen früher zum Jobcenter wechseln. Gerade dort verfestigt sich Arbeitslosigkeit häufig, da die Vermittlungslogik stärker auf kurzfristige Stellenbesetzung und gering qualifizierte Arbeit zielt.
Mit 407.168 Arbeitslosen macht die Gruppe im Alter von 50 bis über 65 Jahre fast 37 % aller Arbeitslosen aus. Nach allen Altersgruppen ist der Bereich zwischen 60 bis 64 Jahre der größte – mit einem Anteil von 17,3 %.
Zwischen Risikoausgleich und Lebensleistungs-Argument
Das IW verweist auf das Solidarprinzip und warnt vor „Versicherungsfremden Erwartungen“. Sozialverbände und Gewerkschaften halten dagegen, dass es gerade die lange Einzahlung gewesen sei, die älteren Beschäftigten den versprochenen Schutz versichert habe. Beide Seiten stützen sich auf dieselbe Umlagelogik, ziehen aber unterschiedliche Schlüsse. Für das IW hat der Schutz bereits in den Jahren der Beschäftigung gewirkt. Für die Gegner ist der längere Bezug ein elementarer Teil dieser Absicherung, weil er die höhere Vermittlungsdauer Älterer realistisch abbildet.
Politische Reaktionen
Die SPD lehnt den Plan ab. Dagmar Schmidt, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, warnt im Handelsblatt‑Interview: „Wer lange gearbeitet und eingezahlt hat, hat sich im Fall der Arbeitslosigkeit eine verlässliche Absicherung verdient.“
Die Arbeitgeberseite sieht das anders. Rainer Dulger, Präsident der BDA, erklärt: „Lange Arbeitslosigkeit hilft niemandem, deshalb braucht es Anreize, sie schnell zu überwinden.“