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Bürgergeld darf keine Wahlleistung sein

Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks
Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (Foto: ZDH/Henning Schacht)

Der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Jörg Dittrich, schlägt Alarm: Ohne zügige und umfassende Reformen drohe den deutschen Sozialsystemen „der Untergang“. In einem am 24. Juli veröffentlichten dpa‑Interview vergleicht er die Lage mit einem leckgeschlagenen Schiff: „Wir sitzen in einem Schiff, das am Rumpf ein Leck hat. Und wenn wir dieses nicht bald abdichten, wird der Kahn komplett untergehen.“

Reformstau

Der Handwerkspräsident kritisiert, dass der Koalitionsvertrag der Bundesregierung zu den dringend nötigen Strukturreformen „nur butterweiche Aussagen“ enthalte und die Politik sich lieber hinter Kommissionen verstecke anstatt entschlossen zu handeln. Die stetig steigenden Sozialabgaben belasteten Betriebe zusätzlich und gefährdeten ihre Wettbewerbsfähigkeit.

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Rente muss auf den Prüfstand

Die abschlagsfreie Rente mit 63 müsse „auf den Prüfstand“, weil sie viele Fachkräfte frühzeitig aus dem Arbeitsmarkt ziehe. Angesichts der höheren Lebenserwartung seien flexiblere Renteneintrittsmodelle nötig, „statt einer starren pauschalen Altersgrenze für alle“.

Bürgergeld darf keine Wahlleistung sein

Kern seines Appells ist eine schärfere Bedürftigkeitsprüfung beim Bürgergeld. „Das Bürgergeld darf keine Wahlleistung sein. Die Menschen, die es brauchen, sollen es bekommen, aber es muss klar an die Bedürftigkeit geknüpft sein.“

Dittrich warnt vor dem Eindruck, man könne sich zwischen Arbeit und Bürgergeld „je nachdem, was mehr bringt“ entscheiden. Das verletze das Solidaritätsprinzip und sorge „bei vielen schwer arbeitenden Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern im Handwerk für Unmut“.

Generationengerechtigkeit

Die soziale Sicherung könne nicht länger fast ausschließlich von einer schrumpfenden Zahl junger Beitragszahler getragen werden, betont Dittrich. Er fordert deshalb ein „tragfähiges Gesamtkonzept“, das Renten-, Gesundheits- und Grundsicherungssysteme gemeinsam betrachtet und auf Nachhaltigkeit sowie Anreizkompatibilität ausrichtet.

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Handwerk als Seismograph

Der ZDH‑Chef sieht das Handwerk in einer Doppelrolle: Einerseits litten kleine und mittlere Betriebe unter hohen Lohnnebenkosten, andererseits spiegelten sie wie ein „Seismograph“ die Stimmung ihrer Beschäftigten wider. Wenn der Eindruck wachse, dass sich Arbeit immer weniger lohne, gefährde das die Leistungsbereitschaft und letztlich den Wohlstand.

Dittrichs Botschaft an die Politik ist klar: Reformaufschub ist keine Option mehr. Die Bundesregierung müsse rasch belastbare Vorschläge für eine generationengerechte Finanzierung der Sozialsysteme vorlegen – und dabei sicherstellen, dass das Bürgergeld wieder eindeutig als letztes soziales Netz verstanden wird, nicht als wählbare Alternative zur Erwerbsarbeit.