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Wer Bürgergeld bekommt ist halt selbst schuld

Ein niedergeschlagener Mann mittleren Alters sitzt an einem Küchentisch und betrachtet einen offiziellen Brief vom Jobcenter. Vor ihm liegen ein geöffneter Fensterumschlag, ein fast leeres Portemonnaie und ein paar Münzen. Die Szene zeigt finanzielle Sorgen.

Gehört es inzwischen zum guten Ton, Armutsbetroffenen den „richtigen“ Lebensweg zu erklären? Dieses „wenn … dann …“ und „jeder ist seines Glückes Schmied“ mag die Bürgergeld-Debatte am Stammtisch beleben. Für Menschen, die tatsächlich auf Hilfe angewiesen sind, gleichen die Vorhaltungen einem Schlag in die Magengegend. Suggerieren sie doch, man sei selbst schuld an seiner Lage und hätte nur da und müsste nur dort … Ach, wäre es schön, wenn sich das Leben so einfach erklären ließe.

Egoistisch und unverantwortlich

Von oben herab erklärt Joe M. auf X (ehemals Twitter), es sei „egoistisch und verantwortungslos“, eine Arbeit zu wählen, mit der man seine Familie nicht ernähren könne. Damit reagiert er auf den Hinweis von Marlene M., sie kenne an der Uni promovierte Kollegen, die hauptberuflich arbeiten aber nur mit 50 Prozent vergütet würden. Sie seien dadurch auf ergänzendes Bürgergeld vom Jobcenter angewiesen, um über die Runden zu kommen.

Warum gehen Bürgergeld-Empfänger nicht einfach arbeiten?

814.000 Aufstocker

Laut Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) hätten sich entsprechend der Sichtweise von Joe M. knapp 814.000 Menschen (Stand Februar 2025) einfach nur für den „falschen Job“ entschieden. Sie alle müssen ihr Gehalt mit Bürgergeld aufstocken. Viele, obwohl sie Vollzeit arbeiten. Trotzdem beim Amt „bitte, bitte“ machen zu müssen, ist ganz gewiss nicht angenehm und schon gar nicht egoistisch. Man stelle sich nur vor, all diese Stellen wären unbesetzt.

Angehörige ins Heim abschieben

Aber das ist so leicht gesagt, und in den sozialen Netzwerken längst Usus. Einer Nutzerin war vor Wochen vorgeworfen worden, sie hätte nur weiter arbeiten gehen müssen, statt sich um die pflegebedürftige Mutter zu kümmern. Dann wäre jetzt alles gut. Auch hier gilt: Menschen, die Angehörige pflegen, leisten scheinbar nicht genug. Sie entlasten das angeschlagene Pflegesystem und nehmen dafür in Kauf, arm zu werden. Ist das auch verantwortungslos oder mangelt es vielleicht an (politischer) Unterstützung für pflegende Personen?

Problem der Alleinerziehenden

Ähnlich geht es allen, die alleinerziehend sind und sich allein um ihre Kinder kümmern müssen. Mal eben einen Job zu finden, der Nachwuchs und Beruf unter einen Hut bringt, ist nicht überall möglich. Dass am Arbeitsmarkt flexiblere Lösungen nötig sind, um dieses Vermittlungshemmnis zu beseitigen, gehört zu den Anregungen, die von wirtschaftswissenschaftlicher Seite kommen.

So viel Bürgergeld bekommen Alleinerziehende vom Jobcenter

Aufpassen in der Schule hilft gegen Armut

Bleiben noch die Kinder, die mit Bürgergeld groß werden und damit akut armutsgefährdet sind. Selbst ihnen wirft man indirekt schon vor, ihre Lage selbst verantwortet zu haben. X-Userin „Kexi“ platzt der Kragen, wenn sie liest, man müsse nur fleißig in der Schule aufpassen und das Richtige tun. Dann sei Armut unwahrscheinlich. Klar: Der Weg raus aus dem Bürgergeld ist möglich, aber schwer. Leichter wäre es, wenn man von Chancengleichheit sprechen könnte. Die gibt es leider nicht.

Der kritische Blick nach unten

Es wird unreflektiert nach unten getreten. Wie Joe M. wohl reagieren, wenn er seinen Job verliert und plötzlich in der Schusslinie steht? Das passiert oft schneller, als einem lieb sein kann. Wie unverantwortlich von ihm, eine Arbeit gewählt zu haben, bei der man gekündigt oder dauerhaft krank werden kann.