Die Debatte um das Bürgergeld ist mal wieder auf dem Höhepunkt. Politiker fordern Kürzungen, Kommentatoren fabulieren von „sozialer Hängematte“ – und die Öffentlichkeit bekommt das Bild einer faulen Mehrheit präsentiert. Barbara Höckmann, Präsidentin der Landesarmutskonferenz Sachsen-Anhalt, hat dafür nur ein Wort: Lüge.
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Arbeit lohnt sich nicht?
Immer wieder wird behauptet, Bürgergeld sei so hoch, dass sich Arbeiten nicht mehr lohne. Höckmann hält mit Fakten dagegen: In Halle zeigt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, dass ein Alleinstehender mit Mindestlohn 595 € mehr hat als ein Bürgergeld-Empfänger. Eine Alleinerziehende mit Kind sogar 773 €, ein Ehepaar mit zwei Kindern 724 €. Wer also etwas anderes behauptet, „verbreitet Lügen – und weiß, dass es Lügen sind“, so Höckmann.
So groß ist der Unterschied zwischen Bürgergeld und Job wirklich
Millionen werden mitgezählt, die gar nicht arbeiten können
Von „5,5 Millionen Bürgergeld-Empfängern“ ist ständig die Rede. Klingt nach einer riesigen Masse an Arbeitsunwilligen – ist aber irreführend. Höckmann rechnet vor:
- 1,8 Millionen sind Kinder.
- 2,1 Millionen können nicht sofort in Arbeit vermittelt werden – weil sie Angehörige pflegen, in Weiterbildung sind, keine Kinderbetreuung haben oder gesundheitliche Probleme.
- Bleiben gerade einmal 1,7 Millionen Menschen, die tatsächlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Davon sind 800.000 sogar erwerbstätig – sie verdienen nur so wenig, dass sie aufstocken müssen.
Aktuelle Zahlen
Das deckt sich auch mit unseren Auswertungen. Die aktuellen Zahlen (Auswertung 04/2025 für Januar 2025) zeigen: Von insgesamt 3.962.878 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten werden 822.565 (20,76 %) als erwerbstätig geführt. Sie verteilen sich wie folgt:
Beschäftigungsform | Anzahl |
---|---|
Vollzeit | 75.437 |
Teilzeit | 248.213 |
Ausbildung | 87.181 |
Minijob | 274.165 |
ohne Meldung | 79.068 |
Selbständige | 63.383 |
Der Mythos Totalverweigerer
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann spricht von „sechsstelligen Zahlen“. Die Realität: 16.000. Mehr nicht. Höckmann sagt klipp und klar: „Das ist alles gelogen.“ Und selbst bei diesen Fällen gibt es oft Erklärungen: Viele seien psychisch krank, überfordert oder öffnen Briefe nicht aus Angst vor dem Amt. „Die zu bestrafen, halte ich für Schwachsinn. Und die wirklich Cleveren, die jede Lücke nutzen, die kriegt man ohnehin nicht.“
Bürgergeld: Wie sich das Jobcenter ausnehmen lässt
Das Märchen vom luxuriösen Wohnen
Auch beim Thema Mieten schürt die Politik Empörung. Kanzler Merz sprach von „20 € pro Quadratmeter“, die angeblich für Bürgergeld-Empfänger gezahlt würden. Die Realität sieht anders aus: In Sachsen-Anhalt liegen die von den Kommunen festgelegten Mietobergrenzen deutlich unterhalb solcher Quadratmeterpreise. In Halle etwa reicht die Angemessenheitsgrenze in der Regel nur für Wohnungen in Vierteln wie Heide-Nord oder Halle-Neustadt – unsaniert, abgehängt, billig. Von Luxus keine Spur.“
Mit falschen Zahlen Stimmung machen
Am Ende zeigt das Interview eines: Die Debatte ums Bürgergeld wird nicht ehrlich geführt. Große Zahlen werden ohne Kontext in den Raum geworfen, Mythen über „faule Arbeitslose“ und „Luxuswohnungen“ bedienen Ressentiments – und verschleiern die eigentlichen Probleme: Niedrige Löhne, fehlende Kinderbetreuung, schlechte Jobchancen und steigende Wohnkosten.
Quelle: MDR SACHSEN-ANHALT, Interview mit Barbara Höckmann