Es liest sich wie ein Drehbuch: Zwei Beschäftigte im Amt für Soziale Dienste (AfSD) erfinden mehr als 30 Alleinerziehende samt Kindern, legen für sie Akten an und lassen die IT Monat für Monat brav überweisen – im Schnitt 13.500 Euro fließen so jeden Monat auf private Konten der Täter. Insgesamt sollen so 418.000 Euro aus der Landeskasse verschwunden sein.
Aufgedeckt und gefeuert
Die betrügerischen Aktivitäten wurden schließlich durch interne Prüfungen aufgedeckt. Als die Unregelmäßigkeiten im August 2024 ans Licht kamen, wurden die beiden verdächtigen Mitarbeiter fristlos entlassen, und die Staatsanwaltschaft Bremen leitete umfangreiche Ermittlungen ein. Aber knapp ein Jahr später wartet Bremen noch auf den Prozess.
Tatmuster – so lief das Geldkarussell
- Fiktive Identitäten: Insgesamt 30 bis 32 „Elternteile“ mit Kindern wurden im Fachverfahren OK.UVIS angelegt.
- Echte IBANs: Konten liefen auf die Verdächtigen und eine dritte Komplizin, teils als Treuhand‑ oder Sammelkonten getarnt.
- Automatisierte Zahlungen: UVG‑Routinen überwiesen jeden 1. Werktag im Monat zwischen 230 € und 395 € pro „Kind“.
- Schaden: 418.000 € (Januar 2022 bis August 2024) – im Schnitt 13.500 € / Monat.
Der Coup funktionierte so lange, weil die Unterhaltsvorschussstelle jede Änderung direkt in die Zahlungsdatei schreibt. Ein zweites Augenpaar oder ein Querschnittsreport – Fehlanzeige.
Exkurs: Unterhaltsvorschuss (UVG) ist eine staatliche Ausfallleistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz: Zahlt der unterhaltspflichtige Elternteil nicht, springt ersatzweise das Sozialamt ein.
Ein Jahr später – wo hängen die Ermittlungen?
„Wir haben umfangreiche Rechtshilfegesuche im Ausland laufen, erst danach können wir Anklage erheben.“ – Melanie Frerichs, Staatsanwaltschaft Bremen (Anfrage vom 12.06.2025)
Hauptbremse sind Kontobewegungen nach Polen und in die Niederlande. Dortige Banken lieferten bislang nur Teil‑Daten. Interne Quellen gehen davon aus, dass der Eröffnungsbeschluss frühestens im 4. Quartal 2025 kommt.
Politisches Nachspiel
Der Skandal landete in der Bremischen Bürgerschaft. Die Opposition sprach von „organisiertem Wegschauen“, Senatorin Claudia Schilling (SPD) versprach Aufklärung und ein Reformpaket in drei Akten:
- Technik‑Update – Einführung einer Zwei‑Faktor‑Authentifizierung ab Juli 2025.
- Kontrolle – Tägliche Zufallsprüfungen per Algorithmus (Vier‑Augen‑Prinzip digital).
- Kultur – Pflichtschulungen gegen Korruption für alle AfSD‑Beschäftigten & Hinweisgeber-System.
Ob das reicht, bleibt umstritten. Aus dem Dachverband der Alleinerziehenden ist zu hören, der Staat könne Unterhaltsvorschüsse nur dann glaubwürdig von säumigen Elternteilen zurückfordern, wenn seine eigenen Schutzmechanismen einwandfrei funktionieren.“
Die größere Frage
Unterhaltsvorschuss ist für mehr als 1,7 Millionen Kinder in Deutschland Existenzsicherung. Wenn das System wankt, wankt ihr Alltag. Bremen steht darum vor der Entscheidung, ob interne Nachbesserungen genügen – oder ob, wie in Berlin und Hamburg, künftig eine externe Kontrollbehörde eingeschaltet werden muss.
Ausblick
Die Ermittlungen laufen, die Politik reformiert – doch das fehlende Geld ist erst der Anfang. Denn mit jedem Monat ohne Anklage wächst der Verdacht, dass die Kontrolllücken größer waren als gedacht. Die entscheidende Zahl wird deshalb bald nicht mehr der Schaden von 418.000 Euro sein, sondern die Summe, die Bremen in neue Sicherungssysteme investiert.
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