Wer trotz Arbeit zusätzlich Bürgergeld bezieht und dabei Trinkgeld erhält, muss oft aufpassen: Wird die zusätzliche Einnahme vom Jobcenter angerechnet? Ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) sorgt nach einem langen Rechtsstreit nun für eine klare Regelung und definiert einen festen Grenzwert, bis zu dem Trinkgeld anrechnungsfrei bleibt.
Der Auslöser: Streit um 25 Euro Trinkgeld
Dass einst bei Hartz IV und heute beim Bürgergeld um teils lächerliche Beträge gestritten wird, und das bis zum bitteren Ende, gehört längst zum Alltag. Im vorliegenden Fall waren es 25 Euro Trinkgeld, die das Jobcenter, als regelmäßiges Einkommen auf den Regelbedarf anrechnete. Die Begründung: Trinkgeld und Job sind direkt miteinander verknüpft. Die Bürgergeld-Aufstockerin wiederum sprach von freiwilligen Zuwendungen.
Lächerlich: Jobcenter verliert wegen 10 Euro vor Gericht
Das Sozialgericht Landshut (S 11 AS 261/16) und das Bayerische Landessozialgericht (L 7 AS 755/17) befassten sich mit dem Fall und tendierten beide eher Richtung Jobcenter. Für das Bundessozialgericht lag der Fall nicht ganz so klar, wie ihn die beiden Vorinstanzen gesehen hatten (B7/14 AS 75/20 R vom 13. Juli 2022).
Wichtig für das Urteil: Was ist Trinkgeld überhaupt?
Die gesamte Verhandlung drehte sich um die juristische Definition. Vereinfacht gesagt, ist Trinkgeld ein Geldbetrag, den Kunden freiwillig und aus Dankbarkeit direkt an den Mitarbeiter geben. Es ist eben kein Lohn, den der Arbeitgeber schuldet. Das ist auch der Grund, warum Trinkgeld – anders als reguläres Gehalt – in Deutschland beim Finanzamt in der Regel komplett steuer- und abgabenfrei ist. Das BSG musste klären, ob das Jobcenter diese großzügige steuerrechtliche Sichtweise einfach ignorieren darf.
Das Urteil: Freiwillige Zuwendungen sind nicht immer Einkommen
Für das BSG ist im Kontext von Bürgergeld und Trinkgeld § 11a Abs. 5 SGB II maßgeblich. Demnach sind Zuwendungen, die ohne rechtliche oder sittliche Pflicht erbracht werden – wie beim Trinkgeld – keine Einnahmen, die als Einkommen angerechnet werden dürfen.
Aber: Da die Grundsicherung nachrangig ist, darf das Trinkgeld nicht so hoch ausfallen, dass es die Situation des Bürgergeld Bedürftigen so günstig beeinflussen würde, als dass Leistungen nach dem SGB II nicht mehr gerechtfertigt wären. Entscheidend ist also, wie hoch die Zuwendungen im Verhältnis zum Regelbedarf sind.
Die Regel: 10 Prozent des Regelsatzes sind anrechnungsfrei
Um die Freibetragsregeln des SGB II zu wahren, darf das Trinkgeld daher laut BSG zehn Prozent des maßgebenden Regelbedarfs nicht überschreiten. Für einen alleinstehenden Erwachsenen, der derzeit Anspruch auf 563 Euro Regelbedarf hat, heißt das: 56,30 Euro im Monat dürfen als Trinkgeld anrechnungsfrei behalten werden. Jeder Cent darüber hinaus wird als Einkommen beim Bürgergeld berücksichtigt und angerechnet.
Das Jobcenter lag im ursprünglichen Fall also falsch: Die 25 Euro Trinkgeld lagen deutlich unter der damals gültigen Freigrenze von 44,90 Euro und hätten nicht bedarfsmindernd angerechnet werden dürfen.