Seit 2009 kein Unterricht, kein einziger Arbeitstag – aber Monat für Monat volle Gehalt aufs Konto. Dazu volle Anwartschaften für die Pension, so als hätte man gearbeitet. Klingt nach Satire, ist aber Realität: Eine verbeamtete Studienrätin in NRW ist seit über 15 Jahren durchgehend krankgeschrieben. Erst im April 2025 kam Bewegung in den Fall: Der Dienstherr ordnete eine amtsärztliche Untersuchung an – und die Lehrerin zog dagegen vor Gericht.
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16 Jahre krank – und der Dienstherr schaut zu
Die Frau legte über die Jahre ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Seit 2020 kamen diese regelmäßig von einem Zentrum für Neurologie und Psychiatrie. Doch dienstrechtlich passierte bis 2025 nichts: keine förmliche Untersuchungsanordnung, keine Klärung der Dienstfähigkeit.
Bürgergeld statt Bezahlung – Lehrer in der Ferienzeit
Andreas Bartsch, Präsident des NRW-Lehrerverbands, sagte zur Bild-Zeitung: „Dieses Verhalten ist ein Schlag ins Gesicht der Kolleginnen und Kollegen. So etwas habe ich in meiner ganzen Berufslaufbahn noch nicht erlebt. Das ist ein völlig unterirdisches Verhalten.“
Das Oberverwaltungsgericht Münster spricht von einem „jahrelangen Untätigbleiben“ des Landes Nordrhein-Westfalen, das „in der Tat nicht nachvollziehbar“ sei. Erst jetzt soll der Amtsarzt prüfen, ob innerhalb von sechs Monaten eine Rückkehr in den Dienst realistisch ist. Auch eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung ist ausdrücklich erlaubt.
Zur Einordnung – die finanzielle Dimension
Wie viel die Lehrerin im Monat konkret bekam, ist nicht bekannt. Verdient hat sie jedenfalls nichts – denn Unterricht gab es keinen einzigen Tag. Klar ist aber die Größenordnung: Nach aktueller Besoldungstabelle (A13) liegt das Grundgehalt von Studienräten in NRW derzeit zwischen 5.051 und 6.174 Euro brutto im Monat. Und all diese Jahre wurden nicht nur voll bezahlt, sondern auch vollständig für die spätere Pension angerechnet.
Wieso vor Gericht?
Die Lehrerin wollte die Anordnung des Dienstherrn (Land NRW) nicht hinnehmen und zog vor Gericht. Ihr Antrag auf Eilrechtsschutz: Nach mehr als 15 Jahren sei eine Untersuchung völlig unverhältnismäßig und verletze ihre Grundrechte. Besonders die angeordnete neurologisch-psychiatrische Untersuchung hielt sie für unzulässig. Außerdem berief sie sich auf den Grundsatz der „Verwirkung“: Nach so langer Untätigkeit könne der Dienstherr sein Recht auf eine Untersuchung nicht mehr plötzlich ausgraben – gewissermaßen verjährt durch Nichtstun.
Das Oberverwaltungsgericht Münster machte damit kurzen Prozess, Beschluss 6 B 724/25 vom 12.08.2025. Eine Verwirkung gebe es im Beamtenrecht nicht – auch nach 16 Jahren bleibe das Recht auf Klärung der Dienstfähigkeit bestehen. Im Gegenteil: Der Dienstherr habe die Pflicht, Zweifel abzuklären. Und wenn ärztliche Bescheinigungen aus einem Zentrum für Neurologie und Psychiatrie stammen, dürfe die Untersuchung selbstverständlich auch diesen Bereich umfassen. Sinngemäß stellte das Gericht klar, dass Beamte nicht „ohne Dienstleistung vollalimentiert“ werden sollen. Das Ergebnis: Die Frau muss sich der amtsärztlichen Untersuchung unterziehen – endgültig und unanfechtbar.
Was jetzt passieren kann
Die nächsten Schritte liegen nun beim Amtsarzt. Stellt er fest, dass die Lehrerin wieder voll dienstfähig ist, müsste sie grundsätzlich in den Schuldienst zurückkehren – eventuell mit Einschränkungen, etwa in Teilzeit oder mit angepassten Aufgaben. Kommt der Amtsarzt zu dem Ergebnis einer begrenzten Dienstfähigkeit, könnte sie nur noch mit reduziertem Stundenumfang eingesetzt werden, das Gehalt würde dann entsprechend angepasst. Ergibt die Untersuchung dagegen, dass sie dauerhaft dienstunfähig ist, wird sie in den Ruhestand versetzt – mit einer Pension, die sich nach den ruhegehaltfähigen Dienstzeiten bemisst.
Bürgergeld: Wie sich das Jobcenter ausnehmen lässt
Normale Arbeitnehehmer im Vergleich
Haben Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft nicht einen so großzügigen Arbeitgeber wie die Lehrerin in diesem Fall, sieht die Realität völlig anders aus. Nach sechs Wochen Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber ist Schluss, danach gibt es Krankengeld von der Krankenkasse – gedeckelt und auf höchstens 78 Wochen pro Krankheit begrenzt. Ist diese Zeit abgelaufen, folgt in der Regel Arbeitslosengeld I, das je nach Alter und Versicherungszeiten auf 12 bis 24 Monate befristet ist. Und danach bleibt nur noch Erwerbsminderungsrente, Bürgergeld oder Sozialhilfe. Rentenbeiträge fließen in dieser Phase nicht mehr, die Altersversorgung stagniert. Kurz gesagt: Während normale Beschäftigte nach spätestens zwei, drei Jahren finanziell massiv einbrechen und mit finanziellen Lücken kämpfen, liefen bei der Lehrerin Gehalt und Pensionszeiten über mehr als 15 Jahre einfach weiter – und der Dienstherr ließ es geschehen, bis ein Gericht den Reset-Knopf drückte.
Systemskandal sondergleichen
Für normale Arbeitnehmer ist so etwas schlicht unvorstellbar. Wer nach zwei Jahren Krankheit längst ins Bürgergeld gefallen wäre, kann nicht nachvollziehen, wie Beamte über 16 Jahre mit vollen Bezügen und Pensionsansprüchen durchgefüttert werden.
Und das Ganze nicht im Verborgenen, sondern unter den Augen des Dienstherrn – bezahlt aus Steuermitteln. Genau dem Geld, das alle anderen erarbeiten. Während beim Bürgergeld jede Bagatelle zum „Missbrauchsfall“ hochstilisiert wird, konnte hier ein Beamten-Vollkasko ohne jede Kontrolle über anderthalb Jahrzehnte laufen.
Das ist kein Einzelfall-Drama, das ist ein Schlag ins Gesicht für alle Steuerzahler – und ein Skandal, den man mit normaler Logik niemandem mehr erklären kann.
Update zum Fall
Nach Angaben der Rheinischen Post gibt es Hinweise, dass die seit Jahren dienstunfähige Studienrätin parallel als Heilpraktikerin aufgetreten sein und zudem ein medizinbezogenes Startup gegründet haben könnte. Genannt werden u. a. Einträge auf Arzttermin-Portalen und Hinweise in sozialen Netzwerken, teils ist von Fördermitteln im niedrigen vierstelligen Bereich die Rede. Offizielle Bestätigungen dazu liegen bislang nicht vor.
Ebenfalls nach RP-Angaben ist die Lehrerin dem Berufskolleg Wesel zugeordnet. Der heutige Schulleiter will ihren Namen nie gehört haben. Das decken weitere Berichte, die RP zitieren bzw. die Angaben zum Schulstandort bestätigen.